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So muss die Welt enden

So muss die Welt enden

Titel: So muss die Welt enden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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Siebenhundertvierundneunzig, Präsident Truman für die Einführung eines sogenannten Hiroshima-Faktors gelobt haben?«
    »Na ja, Hiroshima hatte uns auf alle Fälle im Bereich der Vernebelungspolitik über die Sowjets einen Vorteil verliehen«, sagte Wengernook, während er in dem erwähnten Dokument blätterte. »Sie wußten nie genau, was wir als nächstes tun.«
    »Durch Ablehnung des Erstschlagsverzicht konnte Amerika also den Vorteil in der Vernebelungspolitik wahren?«
    »Ich versuche hier ein ernstzunehmendes Gespräch zu führen.«
    »In Ihrer Rede auf der 1992er Abschlußfeier der Luftwaffenakademie, Dokument Sechshundertdreizehn, fiel die berühmt gewordene Bemerkung, ich zitiere: ›In einem nuklearen Konflikt müssen unsere Streitkräfte dem Feind standhalten und eine frühzeitige Einstellung der Kampfhandlungen zu für die Vereinigten Staaten vorteilhaften Bedingungen erzwingen‹, Zitatende. Was bedeutet ein ›Standhalten‹ im Atomkrieg, Staatssekretär Wengernook?«
    »Es heißt, man verkraftet den Erstschlag und führt einen entscheidenden Vergeltungsschlag.«
    »Wie würden Sie ein Land beschreiben, das einen atomaren Erstschlag ›verkraftet‹ hat?«
    »Die industrielle Basis ist im großen und ganzen intakt, die Befehlsstruktur funktioniert, und die Abschreckung ist noch wirksam.«
    »Und was ist mit der Zivilbevölkerung?«
    »Ein erheblicher Prozentsatz hat überlebt.«
    »Und ein erheblicher Prozentanteil ist tot. Ist es das, was Ihresgleichen als ›hinnehmbare Verluste‹ bezeichnet?«
    »Gelegentlich haben wir diesen Fachausdruck benutzt.«
    »Fünf Millionen Tote gelten dann als hinnehmbar?«
    »Nun – je, wir hatten dabei zum Vergleich die Zahl zwanzig Millionen im Auge.«
    »Welche zwanzig Millionen?«
    »Die Menschenverluste, die die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg hatte.«
    »Eine erschreckend hohe Zahl. Sie waren drauf und dran, den Hinnehmbare-Verluste- Wettbewerb zu verlieren.«
    »Mister Wengernook«, fragte Richter Woiziechowski, »darf ich unterstellen, daß für Sie persönlich keine Verluste als hinnehmbar gegolten haben?«
    »Das versteht sich von selbst.« Der Zeuge klaubte aus der ARES-Montur eine Spiegelbrille und setzte sie auf die Nase. »›Hinnehmbare Verluste‹ ist ein sehr abstrakter Begriff. Er kommt ausschließlich in Strategiediskussionen vor.«
    »Ich bin ungern ein Spielverderber«, sagte Aquinas, »aber die Vereinigten Staaten haben den Atomkrieg nicht ›verkraftet‹, nicht wahr? Irgendwann hatten Sie keine Optionen mehr, die Russen haben keine vorteilhaften Bedingungen für Friedensverhandlungen vorgeschlagen, der totale Atomkrieg hat stattgefunden, und die Menschheit ist ausgerottet worden. Glauben Sie nach diesen Ereignissen noch heute, Ihre Pläne seien moralischer als die IRRE-Planung gewesen?«
    »Zwischen offensiven Kriegsstrategien und präventiv-defensiven Verteidigungsplänen besteht ein himmelhoher Unterschied.«
    »Ist es deshalb eine verabscheuungswürdige Vorstellung gewesen, als die Russen auf den Sieg hofften, aber eine realistische Option, als Sie daran dachten?«
    »Wir mußten in der Welt leben, so wie sie war, Herr Oberstaatsanwalt, statt uns daran zu orientieren, wie wir sie gerne gehabt hätten.«
    Aquinas trat so dicht vor Wengernook, daß sein Atem die Sonnenbrille des Staatssekretärs beschlug. »Aber Sie haben die Welt so eingerichtet, wie sie war! Ihr Menü strategischer Optionen hat Rußland von allen Seiten bedroht! Ihre überseeischen Streitkräfte haben es eingekreist! Ihre MultiAttack-Raketen haben es angreifbar gemacht! Ihre Omega-Raketen…!«
    »›Willst du Frieden, halt dich kriegsbereit‹«, zitierte Wengernook weihevoll. »Appius Claudius der Blinde.«
    »Und wenn man Krieg will, hält man sich auch kriegsbereit!«
    George kannte die Szene aus Filmen: Der Staatsanwalt versuchte den Angeklagten zur Schnecke zu machen.
    »Ich behaupte, daß Ihre Strategie den Russen panische Furcht eingejagt hat!« bedrängte Aquinas den Staatsekretär. »Ich behaupte, sie haben ihre einzige Hoffnung in einer blitzartigen, unerwarteten Enthauptung der amerikanischen Befehlshierarchie gesehen!«
    Doch was hier lief, war kein Film. Dies war die postatomare Umwelt, in der ein Atomkrieg die Menschheit ausgerottet hatte und Staatssekretäre des Verteidigungsministeriums hart wie Vermonter Granit blieben.
    »Nein, da täuschen Sie sich«, widersprach Wengernook in mattem Tonfall. »Die russische Attacke mit den Kugelblitz-Marschflugkörpern

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