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So muss die Welt enden

So muss die Welt enden

Titel: So muss die Welt enden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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wirft.« Mühselig versuchte er sich aufzusetzen, aber sackte aus Schmerz und Erschöpfung zusammen. »Eisschelf? U-Boot? Sie meinen… ich bin unter Wasser? Was sind das für lila Pünktchen auf meiner Hand? Was steckt da in meinem Rachen?«
    »Die Flecken sind Anzeichen von Hautblutungen. Was Sie im Hals spüren, sind entzündete Mandeln. Mein Name ist Morning Valcourt. Ich bin Psychotherapeutin und habe vor, Ihnen behilflich zu sein.«
    George hustete nochmals, diesmal jedoch weniger heftig als zuvor. Er bibberte vor Fieber. Seine Lungen fühlten sich so geschwollen wie ungemolkene, prallvolle Euter an.
    Nachdem sie sich ein Mundtuch vors Gesicht gebunden hatte, schob Dr. Valcourt einen Zipfel des Zelts beiseite und betrat es.
    Ein Blick genügte, um Georges Engel-Theorie zu widerlegen. Ein Seidenkimono umhüllte unübersehbar weltlich-weibliche Kurven. Die Frau hatte Augen in sattem Blaugrün, ihr dichtes Haar war rot wie die Spiraldrähte in den Elektroheizkörpern der Grabmalwerkstatt Crippen. Sechs Tage besinnungslos? Hat sie das gesagt? Dann hatte er am Montag seinen Termin mit Mrs. Covington versäumt.
    »Was Sie wissen müssen… Unmittelbar nach Ihrer Bergung ist noch ein Sprengkopf ins Ziel gegangen.
    Volltreffer.« Dr. Valcourt kam näher, ihr Atem blies ins Mundtuch. »Außer Ihnen ist niemand aus Wildgrove fortgelangt. Haben Sie verstanden?«
    Georges Antipathie gegen Dr. Valcourt grenzte an Abscheu. Woher wollte sie wissen, daß niemand sich hatte retten können? Welches Recht hatte sie, über derartige Vorgänge solches Zeug zu quasseln?
    Sie ging auf Abstand, wich zurück, so daß die Plastikbahnen sich teilten und danach schlossen, sie wieder voneinander trennten.
    »Bitte töten Sie mich«, sagte George, wiederholte das Ansinnen der Wildgrover Brandverletzten so gefaßt, als bäte er um ein Glas Wasser.
    Außerhalb des milchigen Zelts schlenderte Dr. Valcourt auf und ab. Ihre Gestalt schien einem unscharf eingestellten Filmprojektor zu entspringen. »Meine Aufgabe ist es nicht, Sie zu töten, sondern Sie zu heilen.«
    »Von der Strahlenkrankheit?«
    »Von Scham. Man spricht von einem Überlebenstrauma. Eine solche Katastrophe zu überleben, bei der so viele Menschen umgekommen sind, bedeutet für Ihre Psyche eine furchtbare Bürde.«
    »Wohin sind wir unterwegs?«
    »Heimwärts.«
    »Nach Wildgrove?«
    »In die Antarktis.«
    »Lassen Sie mich bitte in Ruhe.«
    »Ich will ein offenes Wort mit Ihnen reden, Mister Paxton. Das ist etwas, das Sie von einem Psychotherapeuten nur selten hören werden – am wenigsten einem, der aufs Überlebenstrauma spezialisiert ist –, also sperren Sie die Ohren auf. Ich bin der Auffassung, es ist Ihre Pflicht, sich darüber zu informieren, weshalb Ihr Name in die McMurdo-Sund-Konvention aufgenommen worden ist. Sobald Sie den Grund wissen, können Sie tun und lassen, was Ihnen in den Kram paßt. Essen Sie, trinken sie, freuen Sie sich des Lebens… Oder fluchen Sie Gott und krepieren Sie. Mir ist es im großen und ganzen egal, was Sie anfangen.«
    Schritte ertönten, und die unausstehliche Psychotherapeutin verschwand…
    Fluchen Sie Gott und krepieren. Im biblischen Buch Hiob geriet Gottes frömmster Diener zum Leidtragenden von etwas ähnliches wie einer Wette zwischen Gott und Satan. Mit Gottes Einverständnis unterzog der Satan Hiob aller erdenklichen Prüfungen, bei der allein Atombomben ausgelassen wurden; Hiob verlor seine Ochsen, Schafe, Kamele, Eselinnen, Knechte, Söhne und die Gesundheit.
    »Fluche Gott und stirb!« empfahl ihm seine Frau. Zu der Zeit hockte Hiob mit dem Arsch in der Asche.
    »Mein Innerstes siedet und kommt nicht zur Ruhe«, jammerte Hiob, der sich keineswegs durch die Tugend der sprichwörtlich gewordenen Engelsgeduld auszeichnete. »Den Schakalen ward ich zum Bruder, den Straußenhennen zum Freund. Meine Haut am Leibe ist schwarz geworden, von Fieberhitze brennt mein Mark. So wurde zur Trauer mein Saitenspiel, und meiner Flöte Ton zum Wimmern von Weinenden.«
    Fluche Gott und stirb. George betrachtete das als bemerkenswert klugen und wichtigen Rat.
    *
    Wenn es über Strahlenerkrankungen etwas positives zu sagen gab, dann dies: Entweder ging der Betroffene daran zugrunde, oder er überstand sie. In dem Bewußtsein, daß der Erfolg im Bereich des Möglichen lag, machte sich an Bord der Donald Duck das Personal der Krankenstation an die Arbeit. Sie legten aus Schleim- und Blutproben sowie Darmbakterien Georges Kulturen an und behandelten

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