Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
So muss die Welt enden

So muss die Welt enden

Titel: So muss die Welt enden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
Vom Netzwerk:
Grube die Asche in die Höhe wehte und sich auf Georges Körper senkte.
    Ihm fiel der Name der Kreatur ein. Geier. Es war der gewaltigste Geier der Welt, riesig wie ein Flugsaurier. Er kam, um Georges Gebein abzunagen.

 
KAPITEL 6
     
    Worin ein U-Boot-Kommandant, ein Generalmajor, eine Therapeutin und ein Diener Gottes ins Geschehen eintreten

Korvettenkapitän Olaf Sverre, der über den Horizont hinausschauen konnte, stand im Periskopraum seines Atomraketen-U-Boots und beobachtete, wie der Bundesstaat Massachusetts abbrannte.
    »Gott steh ihnen bei«, murmelte er, drückte sein heiles Auge an Periskop I. Der Brand jeder Stadt hatte eine deutlich unterscheidbare Färbung. Stockbridge loderte orangerot, Worcester blaurot, Wellesley gelbrot, Newton in Zinnoberrot.
    Das Periskop verkörperte eine wunderbare Verschmelzung von Mystizismus und Technologie. Die Linsen waren aus Beryll geschliffen worden, derselben Substanz, die es Roger Bacon, dem Hexenmeister des dreizehnten Jahrhunderts, ermöglicht hatte, ein Spiegelglas zu schaffen, durch das er Ereignisse mitverfolgen konnte, die hundert damalige Landmeilen entfernt stattfanden. Als das Bundesforschungslaboratorium Sugar Brook, das sich im Rahmen eines die Zahlung von Selbstkosten und Prämie betreffenden Vertrags für das Verteidigungsministerium der Vereinigten Staaten betätigte, anhand von in den Notizbüchern Leonardo da Vincis entdeckten Kritzeleien diese sagenumwobenen Glasscheiben kopiert und sie mit einer Kette geostationärer Satelliten assoziiert hatte, war das Resultat ein Periskop unbeschränkter Reichweite. Kürzlich hatte der Kongreß der Vereinigten Staaten dem amerikanischen Volk zweiundvierzig derartiger Geräte gekauft, eines für jedes Raketen-U-Boot der Philadelphia-Klasse, über die die Marine verfügte. Größtenteils waren die Empfänger über das Geschenk verdutzt und erfreut, und mit Genugtuung nahmen sie zur Kenntnis, daß das russische Volk so etwas noch nicht hatte.
    Sverre verminderte die Brennweite und brachte die entflammten Trümmer Bostons ins Blickfeld. Konfus schwirrten überm Hafen Seemöwen durch den Himmel. Sie hatten Feuer gefangen. Er schloß das rechte und öffnete das linke Auge, das aus Guttapercha bestand. So war es besser; nun sah er keine brennenden Möwen mehr. Jeden Abend nahm Sverre sein Gummiauge heraus, tauchte es in Gin und setzte es wieder ein, so daß ihm der Alkohol ins Gehirn drang und ihm einen einzigartigen, geradezu mit Entrücktheit vergleichbaren Zustand der Trunkenheit bereitete. In diesen unruhigen Zeiten war das die einzige Methode, durch die er einschlafen konnte.
    Obwohl Sverre sogar so entlegene Weltgegenden wie Indien und Argentinien unter Beobachtung nehmen konnte, blieb ihm zu sehen verwehrt, was sich auf dem eigenen Schiff abspielte. In dieser Beziehung verließ er sich auf seinen Ersten Offizier. »Mister Grass«, brummte er in die Sprechanlage, »schieben Sie mal zwecks Lagebericht rüber.«
    Um den Periskopraum zu erreichen, brauchte Kapitänleutnant Grass mehrere Minuten. Genug Zeit für einen ordentlichen Schluck. Oder zwei. Sverre zerrte eine Flasche aus seinem Frack und füllte Gin in einen Styropor-Becher. An den Seiten seines Ofenrohrs schien schwarzes Fell zu wuchern. Genauso dunkles, seidiges Haar sproß auf seinen Wangen, wuchs am Kinn hinab und verfilzte sich zu einem üppigdichten Vollbart.
    Spontan fielen ihm ein paar Zeilen für ein Gedicht ein. Er griff sich eine Broschüre mit dem Titel Reparatur und Wartung des Torpedos Typ 49, drehte sie um und krakelte auf die Rückseite:
    Der vergänglichen Welt die Midgardschlange
Umschlingt die Windungen gleich einer Spange.
Wenn Jörmungand ihren Leib aufbäumt,
Strudelt die lehmige See und schäumt.
    In weißer Uniform, deren Messingknöpfe blitzten, die von Stärke leise knisterte, trat Kapitänleutnant Grass ein. Selbst seine Sommersprossen wirkten, als hätte er sie frisch aufpoliert. Ihn begeisterte die Marine.
    Sverre kreuzte das Gedicht durch. »Können wir aus dieser scheußlichen Ecke abhauen?«
    »Der Mann ist vor einer Stunde geborgen worden«, antwortete der Erste. »Er liegt im Bord-OP.«
    »Im OP? Scheiße. Ich darf keine Leiche abliefern, so lautet der Befehl nicht. Wie ist die Prognose?«
    »Ziemlich gut. Wahrscheinlich hätte die Kugel ihn gekillt, aber sie ist vorher durch eine Kinder-ARES-Montur geschlagen. Er ist ein Bär von einem Kerl. Hat beruflich Grabsteine beschriftet.«
    »Grabsteine?«
    »Jawohl.«
    »Was

Weitere Kostenlose Bücher