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So muss die Welt enden

So muss die Welt enden

Titel: So muss die Welt enden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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lieber über was anderes unterhalten.«
    »Ich auch.«
    Aber der Grabsteinbeschrifter und der Staatssekretär für Internationale Sicherheitsangelegenheiten beim Verteidigungsministerium der Vereinigten Staaten hatten sich nichts mehr zu sagen.
    Am nächsten Wochenende durfte George eine Kabine beziehen, die mehr einer Erste-Klasse-Kajüte eines zivilen Ozeandampfers als einer Behausung an Bord eines Schiffs der Kriegsmarine ähnelte. Der Luxus verschlug ihm geradezu den Atem. Er wünschte sich, Justine wäre da und, risse Witze über die kitschige Tapete, könnte jedoch auch aus dem Füllhorn genießen, als das sich die Kombüse der Donald Duck herausstellte: Es gab Rührei zum Frühstück, Muschelgerichte zur Mittagsmahlzeit und Hummer zum Abendessen, alles serviert von gutgelaunten, pausbäckigen Mannschaftsdienstgraden, die sich ausnahmslos betrugen, als bewürben sie sich mit ihren Auftritten um Anstellung in einem undenkbar protzigen Hotel. Auch Holly hätte er gerne bei sich gehabt, um zu erleben, welches Vergnügen sie an dem Aquarium mit lebenden Seepferdchen fand, wie sie ihnen ihre Lieblingsnamen verlieh, die Namen, mit denen sie schon Dutzende von Puppen und Stofftieren getauft hatte. Aus irgendwelchen Gründen hatte sie als Lieblingsnamen Jennifer, Susi, Jeremias, Alfred und Margret bevorzugt.
    Und so fühlte George sich trotz piekfeiner Umgebung und hervorragender Verpflegung wie ein Bruder der Schakale. Trotzdem wurde der Ton seiner Flöte zum Wimmern von Weinenden. Manchmal zerdrosch er Gegenstände, bis ihm die Fingerknöchel bluteten. Zur Beseitigung des Durcheinanders kommandierte die Marine dann einen Marine-Hauptgefreiten ab. Zu anderen Zeiten stierte George nur grüblerisch in den Wandschrank, in dem auf einem Kleiderbügel Hollys goldgelbe ARES-Montur mit ihrem durchschossenen Handschuh wie an einem Galgen hing. Bisweilen starrte er die Montur stundenlang hintereinander an.
    Sie hätte ihr das Leben gerettet, sagte er sich, obwohl er inzwischen daran gelinde Zweifel hegte.
    »Ich hätte mir mehr Mühe geben müssen«, stöhnte er dann und wann laut.
    Ab und zu durchschwebte eine kleine Sprechblase des Trosts seine Gedankengänge. Wenn der Tod in so endgültige Empfindungslosigkeit mündete, wie man es ihn gelehrt hatte, war seiner Familie zumindest die Gnade des Übergangs ins Nichts gewährt worden. Justine konnte den Tod ihrer Tochter nicht betrauern. Holly konnte sich nicht um die bange Frage grämen, ob all das Riesenchaos möglicherweise verhinderte, daß man ihr eine Mary-Merlin-Puppe zu Weihnachten schenkte. Gott sei Dank fürs Vergessen, wiederholte Georges oftmals sein Unitarier-Gebet.
    Das Pochen an Georges Tür erfolgte im forschen, ungeduldigen Takt einer Person, die es gewohnt war, ihren Willen durchzusetzen.
    »Die Tür ist auf.« George saß auf einer gepolsterten Chaiselongue und las zum drittenmal in dieser Woche im Buch Hiob. Auch dieses Mal beurteilte er den biblischen Schwank als roh und lachhaft.
    Ein Offizier trat ein. Seltsamerweise trug er die Uniform der Luftwaffe der Vereinigten Staaten. Seine Anwesenheit auf einem U-Boot der Kriegsmarine wirkte ähnlich widersinnig wie das Erscheinen eines Ajatollahs in einer katholischen Kirche.
    »Sie sind Evakuierter Paxton, stimmt’s?«
    George klappte die Bibel zu und sagte: »Ja.« Der Luftwaffen-Evakuierte kam auf ihn zu, den Arm zu einem pflichtschuldigen Händedruck angewinkelt. Wuchtig-breite Schultern, ein rauhes, wie aus Stein gemeißeltes Gesicht, ein ungeheurer Rumpf und affenartig lange Gliedmaßen konstituierten seine Statur. Auf einem Vorderteil seiner Dienstjacke prangte ein Klempnerladen von Orden und Medaillen, auf dem anderen ein Namensschild mit der Aufschrift TARMAC.
    »Generalmajor Roger Tarmac«, stellte der Evakuierte sich mit lautstarker, kraftvoller Stimme vor. »Meine Freunde nennen mich ›Henker‹.« Generalmajor ›Henker‹ Tarmac die Hand zu schütteln, lief auf Leistungssport hinaus. »Im Strategischen Luftwaffen-Oberkommando Stellvertretender Stabschef mit Zuständigkeitsgebiet Zielbestimmung. Ich bin in Omaha in der Innenstadt gewesen, als die Russen loslegten. Irgendwann mußte ich ja auch meine Weihnachtseinkäufe erledigen, nicht wahr? Da stehe ich also und kaufe dem Kleinen meiner Schwester einen Affen mit Trommel, da donnert doch hinter meinem Rücken so ein Atomsprengkopf runter, daß nur so die Wände wackeln, und als ich aufwache, bin ich plötzlich bei der Marine. Völlig verrückte

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