So muss die Welt enden
Handgranate?«
»Nee, ach was, hören Sie auf, Paxton, wir leben doch im Zeitalter der Mikrotechnik. Soll die Marine ruhig von goldenen Tellern fressen, aber wenn man auf der Höhe sein will, muß man sich an die Luftwaffe wenden. Das ist ein tragbares Ein-Kilotonnen- Atomgeschoß komplett mit Abschußvorrichtung. Sieht aus wie ein…«
»Wie ein Spielzeug«, sagte George, wich langsam an die Rückwand seiner Kajüte zurück. In der Tat sah die Rakete so sehr wie ein Spielzeug aus, daß Holly, wäre sie hier gewesen, sie vielleicht benutzt hätte, um ihren Teddybären zum Mond zu schießen. »Es wäre mir lieber, wenn Sie nun gehen«, erklärte George. »Ich merke, daß mich ein Anfall von Überlebenstrauma überkommt.«
*
Während der folgenden vier Tage blieb George unter seidenem Bettzeug in seiner mit einem Baldachin überspannten Luxuskoje und wünschte den Tod herbei. Er fluchte Gott, starb aber nicht. Sein Geist wollte mit dem, was von der Welt übrig sein mochte, nichts mehr zu schaffen haben, doch sein Körper verweigerte sich dieser Abwehrhaltung. Ungeachtet des Schicksals Justines schlug sein Herz weiter. Gleichgültig gegenüber Hollys Abwesenheit übten seine Nieren unverdrossen ihre Reinigungstätigkeit aus. Wurde ihm der Mund trocken, trank er. Wenn der Magen knurrte, stopfte er ihn mit Essen. George Paxton fluchte Gott, und er verfluchte das falsche Sprichwort, die Zeit heile alle Wunden.
Die einzige Körperertüchtigung im Laufe dieser Woche bot ihm das Schlafwandeln.
»Nana, wen haben wir denn da?«
Etwas rüttelte ihn so stark, daß sein Knochengerüst auseinanderzufallen schien. Er öffnete die Augen. In seinem Blickfeld sah er sechs Leutnants zur See. Ihre Zahl verringerte sich auf vier. Das Geschüttel verebbte. Zwei Leutnants – beide hatten schwammige Pfannkuchengesichter und ließen sich auf keine erkennbare Weise voneinander unterscheiden.
»Erst einmal sollten Sie uns grüßen«, sagte der eine Leutnant.
»Ganz richtig«, bekräftigte der andere.
»Wen soll ich grüßen?«
»Leutnant Max«, sagte der erste Leutnant.
»Und seinen Vetter, Leutnant Moritz«, sagte der zweite.
»Mister Moritz, ich glaube, wir haben George Paxton vor uns«, rief Leutnant Max.
»Sagen Sie mal, Mister Max«, fragte Leutnant Moritz, »meinen Sie den von der McMurdo-Sund-Konvention betroffenen George Paxton?«
»Genau den«, antwortete Leutnant Max.
Leutnant Moritz zupfte ein verirrtes Fädchen vom Marine-Emblem auf Georges seidenem Schlafanzug. »Manche sind der Ansicht«, sagte der Leutnant mit verschmitztem Grinsen, »wir müßten langsame, treffunsichere, aber unangreifbare Raketen bauen.«
»Um die Befürchtung der Russen zu beschwichtigen«, stellte Leutnant Max klar, »wir planten einen Erstschlag.«
»Wogegen andere einwenden, ein Arsenal schneller und treffsicherer Raketen…«
»Eine glaubwürdigere Abschreckung seien«, vollendete Leutnant Max den Satz.
»Weil sie keinen garantierten beiderseitigen Selbstmord zur Folge haben«, sagte Leutnant Moritz.
»Andererseits behaupten manche, die feindliche Führungs- und Kommandostruktur müßte geschont werden.«
»Damit man den Krieg durch Verhandlungen beenden könnte.«
»Dagegen führen andere an, man müßte die Führungs- und Befehlsstruktur als erstes vernichten…«
»Um den Feind zu enthaupten und ihm den Gegenschlag unmöglich zu machen.«
»Einerseits könnte es, wenn es so gewesen ist, so richtig gewesen sein.«
»Und wenn es so gewesen ist, wird es wohl richtig gewesen sein.«
»Aber wenn nicht, dann nicht.«
»Das ist strategisches Denken.«
»Grüßen Sie uns, Mister Paxton.«
Unbeholfen salutierte George.
»Entschuldigen Sie«, sagte Leutnant Moritz, »aber das war nicht gut genug.«
George salutierte ein zweites Mal.
»Noch immer falsch«, krittelte Leutnant Max. »Anscheinend müssen wir Sie doch in ein Torpedorohr stecken.«
»In was?« fragte George.
»Keine Sorge«, entgegnete Leutnant Moritz. »Sie bleiben nicht lang im Rohr.«
»Höchstens eine Minute«, sagte Leutnant Max.
»Und dann, schwupp-di-wupp, zischen Sie ab in den weiten, blauen Atlantik.«
»Das ist das Meer mit dem vielen Salz drin.«
»Können Sie schwimmen?«
»Können Sie Wasser atmen?«
In Georges verwirrtem Gehirn gewannen zwei Tatsachen Klarheit. Ihm graute vor den beiden Leutnants. Und sie zerrten ihn durch einen Gang. Er wehrte sich. Seine Muskeln stemmten sich gegen das Mitgezerrtwerden. Neonleuchten und Dampfrohre gaukelten
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