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So muss die Welt enden

So muss die Welt enden

Titel: So muss die Welt enden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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vorbei. Er versuchte seinen zwei Bedrängern entgegenzuhalten, sie hätten kein Recht, derartig mit einem Erebus-Evakuierten umzuspringen, bemerkte bei dieser Gelegenheit jedoch, daß Leutnants Max’ schweißige Hand ihm den Mund verschloß.
    Vor lauter Nieten wirkte die grüne Torpedoabschußkammer regelrecht pockennarbig. Muzak durchdudelte die Luft, zahllose Geigen schluchzten die Melodie von ›De Hamborger Veermaster‹. Die Leutnants schleiften George zu Rohr 1, öffneten die Klappe. Das Torpedorohr, das nach Salzwasser und Motoröl stank, hätte eine Gebärmutter sein können, in dem ein tragbares Atomgeschoß gedieh.
    Leutnant Max schwang George ein Exemplar der McMurdo-Sund-Konvention vors schieläugig gewordene Gesicht. Es handelte sich um ein mehrere Hundert Seiten dickes, am Rücken mit einer Spirale aus Stacheldraht gebundenes Dokument. Leutnant Max schlug es auf und hielt George Anhang C unter die Nase. Die Bezeichnung für Anhang C lautete Abgabevertrag über eine ARES-Montur.
    »Das ist Ihre Unterschrift, oder nicht?« fragte Leutnant Max.
    »Ja, aber…«
    »Sehen Sie da, Mister Moritz, er hat unterschrieben.«
    »Und dann auch noch mit dem eigenen Namen!«
    »Ich bin ein Freund Generalmajor Tarmacs«, beteuerte George.
    »Des HOPPEL-Häschens?« vergewisserte sich Leutnant Max.
    »Genau.«
    »Ein Freund Generalmajor Tarmacs ist mein Feind«, sagte Leutnant Moritz.
    »Vergessen Sie nicht«, ermahnte Leutnant Max George, »den Mund geschlossen zu halten.«
    »Vergessen Sie nicht, sich die Nase zuzuhalten.«
    »Vergessen Sie nicht, uns ’ne Ansichtskarte zu schicken.«
    »Wir sind immer bei Ihnen gewesen…«
    »Und haben auf Einlaß gewartet.«
    George verpaßte Leutnant Max einen Kinnhaken. Der Treffer geriet kraft- und geräuschvoll. Leutnant Moritz führte den Vergeltungsschlag, rammte George eine Faust in den Magen, so daß die abgeschwollenen Beschwerden der Schußwunde als schmerzhaftes Brennen wiederkehrten.
    Ich bin der Sache gewachsen, sagte sich George, nachdem das Paar ihn in Torpedorohr 1 geschoben und die Klappe zugeknallt hatte. Ich werde nicht herumschreien. Das Nichts ist es ja längst, in das ich eingehen will, und jetzt ist er da, mein guter Freund der Unitarier.
    Die Kälte kroch ihm ins Fleisch. Seine Atemzüge hallten von der zylindrischen Wandung wider. Ihm kam die Einsicht, daß sich so seine Kunden fühlen mußten, wenn sie in ihren engen Erdmöbeln ruhten. Tröstete sie das Wissen, daß über ihrem Kopf ein siebenhundertundfünfzig Dollar teurer Klotz hochwertigen Granits stand? Er schrie. Das Echo stach ihm in die Trommelfelle.
    Er dachte an den Leutnant Moritz versetzten Kinnhaken. Hatte er richtig gesehen? Konnte es sein? War schwarzes Blut hervorgequollen, als er dem Leutnant die Lippe aufgeschlagen hatte?
    George pinkelte seinen Schlafanzug voll. Die Wärme des Urins verursachte ihm gleichzeitig Schrecken und Behagen. Es sollte nur eine Minute dauern, hatten sie angekündigt. Schwarzes Blut. Genau wie bei Mrs. Covington. Eine Auswirkung der Strahlung? Nein, sie hatte die Grabmalwerkstatt Crippen vor dem Krieg aufgesucht, oder nicht? Der feuchte Schlafanzug kühlte ab.
    George war immer gerne ins Kino gegangen, besonders mit Justine. Als Verheiratete hatte man einfach mehr vom Ausgehen. Man konnte sich entspannen, und wenn es vorm Hauptfilm kein Eis gab, ging die Welt nicht unter. Man saß gemütlich in klimatisierter Luft, wartete ab, bis der Film anfing – irgendein Film, welcher es war, spielte keine Rolle –, durfte sich beinahe fühlen wie ein Astronaut in Nullschwerkraft, nichts belastete einen, alle Pflichten waren weit weg…
    Irgendwer öffnete die Klappe, packte George an den Knöcheln und zog ihn aus dem Torpedorohr. In der Torpedoabschußkammer roch es, wie George erst jetzt auffiel, nach verbranntem Haar. Die süßliche Streichermusik schluchzte nun ›Ehre sei Gott in der Höhe‹. George beugte die Knie und stand auf; Schmerz durchglühte seine Schulterknochen.
    Ein stämmiger, attraktiver Mann Mitte dreißig, gekleidet in einen makellosen Anzug mit Weste, schenkte ihm ein Lächeln, das den Eindruck einer extremen Überfülle an Zähnen vermittelte. In ähnlichem Überfluß hatte er kastanienbraunes Haar, das man mit einem gut gepflegten Orang-Utan-Fell hätte verwechseln können.
    »Wo sind diese Leutnants?« fragte George. Er trat vor, klemmte die Beine zusammen, um die Benäßtheit seines Unterleibs zu verheimlichen.
    »Wahrscheinlich im Dienst,

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