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So muss die Welt enden

So muss die Welt enden

Titel: So muss die Welt enden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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George«, antwortete sein Retter liebenswürdig. »Wollte man Ihnen vielleicht einen Schabernack spielen?«
    »Wie kann man auf die Idee kommen, mich aus ’m Torpedorohr in ’n Ozean zu schießen, würde mich noch erschrecken?« George lachte. Sein Retter nicht. Noch nie hatte George einen dermaßen säuberlich rasierten Mann gesehen. Es schien, als wären ihm die Bartwurzeln verödet worden.
    »Mein Großvater hat bei der Marine gedient«, sagte Georges Retter. Seine Stimme klang sanft, seidenweich wie Edelkaffee mit Sahne. »Offenbar hat sich seit damals vieles verändert. Über solche Seeleute ist nicht der Heilige Geist gekommen.«
    George betrachtete seine Fingerknöchel. An ihnen klebte etwas, das an Teer erinnerte. »Sie haben schwarzes Blut.«
    »Das wundert mich nicht«, sagte sein Retter.
    »Sind Sie auch bei der Marine?«
    »Haben Sie schon mal christliches Fernsehen geguckt?«
    »Selten.«
    »Vergangenes Jahr hatten wir mit ›Countdown zum Jüngsten Gericht‹ – haben Sie nie mitgekriegt? – durchgehend bessere Einschaltquoten als mit ›Singet dem Herrn ein neues Lied‹. Pro Woche treffen bei uns zweieinhalb Tonnen Post ein. Der Herr wirkt wundervolle Werke.«
    »Meine Frau wäre auch gern im Fernsehen gewesen.«
    Georges Retter streckte ihm eine nudelweiche Hand entgegen. »Pastor Kiefer Sparren«, sagte er. Sobald er Sparrens Hand ergriff, fühlte George aus jedem seiner Finger Trost und Stärkung überfließen. Sparren war ein wirklich sehr netter Evakuierter.
    »In unserer heutigen Gegenwart wird das Fernsehen zu Gottes auserwähltem Medium, so wie es früher die Gutenberg-Presse gewesen ist«, erklärte der Pastor. »In letzter Zeit haben wir im Rahmen von ›Countdown‹ viele alte Filme gezeigt, um Zuschauer zu gewinnen, verstehen Sie, worauf ich hinaus will? Man muß ans vorhandene Niveau der Leute anknüpfen. Klar, Ben Hur ist kein allzu großartiger Film, ich meine, Lepra sieht in Wirklichkeit anders aus, sie ist viel schlimmer, aber danach bringt man dann halt die besseren Streifen, Das Gewand, Quo Vadis?, und so weiter.«
    George hustete. Vermutlich brüteten in dem Torpedorohr die Keime mehrerer ansteckender Krankheiten. »Und jetzt fahren wir alle in die Antarktis.«
    »Ist es nicht wunderbar anzusehen, wie der nukleare Schlagabtausch den Christen nichts anhaben kann?« fragte Sparren. »Ich wußte stets, daß die Endzeit eine Zeit des Frohlockens wird, aber mir war nicht bewußt, wie ekstatisch die Freude würde. Ich werde meine Familie wiedersehen.«
    »Sie ist in der Antarktis?«
    »Sie ist bei Jesus im Himmel.«
    George hob den Blick aufwärts.
    »Darf ich Sie etwas fragen?« Der Pastor berührte Georges beschmutzte Faust. »Sind Sie errettet?«
    »Ja, Sie haben mich gerade gerettet. Ich bin Ihnen sehr dankbar. Gäb’s Ihre Sendung noch, würde ich sie mir anschauen.«
    »Ich spreche von Ihrem Verhältnis zu…«
    »Meine Familie ist umgekommen, als die Russen Wildgrove ausradiert haben. Ist mir jedenfalls so gesagt worden.«
    Pastor Sparren runzelte die Stirn. »Die hebräischen Propheten – Ezechiel, Jeremias – widerstanden tausenderlei Heimsuchungen. Verstehen Sie mich? Die Babylonische Gefangenschaft, das ›Grausame Strafgericht‹, die Zerstörung des Jerusalemer Tempels, alles haben sie vorausgesehen, ja? Sie sind errettet, George, andernfalls wären Sie nicht mit uns auf dieser Fahrt.«
    »Ich bin Unitarier.«
    »Ich werde für Sie beten«, versprach Pastor Sparren mit Nachdruck.
    »Das weiß ich sehr zu schätzen«, antwortete George, und er sagte damit die Wahrheit.

 
KAPITEL 7
     
    Worin unser Held eine strategische Entscheidung fällt und einen Grund findet, um Gott nicht mehr zu fluchen und nicht mehr sterben zu wollen

In den nachfolgenden Tagen nahm Georges Gram eine neuenglische Eigenschaft an, die darin bestand, daß er schließlich weniger ein Gefühl war und mehr eine zu bewältigende Aufgabe.
    Er versuchte sich an die vielen Male zu erinnern, bei denen er die Vaterschaft als erdrückend schwere Last empfunden hatte; die Momente, in denen Hollys Gekreische oder ihr Trotz ihn an den Rand der Kindesmißhandlung trieb, die Augenblicke, in denen er das Gefühl gehabt hatte, ihm sei sein Leben geraubt und gegen eine an seinen Fuß gekettete, zum Schnattern fähige Eisenkugel ausgetauscht worden. Doch ihm kamen nur peinlich rührselige Erinnerungen: Wie Holly ihre Puppen zu Bett brachte. Sich noch bemühte, die kranke Katze zu füttern, ehe sie starb. Vor sich

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