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So muss die Welt enden

So muss die Welt enden

Titel: So muss die Welt enden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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hinsang. Den Sinn eines Anklopf-Spiels zu begreifen. Sie hatte nie verstanden, daß ein richtiges Anklopf-Spiel mit Wortwitz einherging. Poch-poch, rief sie. Wer ist da? hatte eine vierjährige Freundin gefragt. Jennifer (oder Susi, Jeremias, Alfred oder Margret), hatte Holly geantwortet.
    Welche Jennifer?
    Jennifer Popowindeldoofgesicht.
    Und dann hatten sie und ihre Freundin, begeistert von ihrer eigenen Vorschul-Sozialsatire, vor Heiterkeit gekichert und geprustet.
    Poch-poch.
    »Wer ist da?« Eigentlich brauchte George gar nicht zu fragen. Das Anklopfen war so typisch wie ein Fingerabdruck. »Die Tür ist auf, Henker.«
    Stürmisch drang HOPPEL-Häschen in die Kabine ein, als übte er Häuserkampf. Ihn begleitete ein Mann um die fünfzig, der einen düsteren Blick von der Schärfe einer Rasierklinge und den schlaksigen Körperbau einer Marionette hatte.
    »Ich möchte Sie mit Dr. William Randstable bekanntmachen«, sagte Henker. »Das Wunderkind des Forschungslabors Sugar Brook, den Gerüchten zufolge ein anerkanntes Genie.« Der Generalmajor hatte an Gewicht verloren, und die Tränensäcke unter seinen Augen sahen wie Geldbeutel aus. »William, das ist George Paxton, der Ehrendichter von Wildgrove in Massachusetts.«
    »An sich bin ich ja kein Wunderkind mehr«, sagte Randstable. »Mehr ein Wechseljahre-Wunderknabe.«
    »Ich habe gehört, Sie hätten mal den russischen Schachmeister geschlagen«, sagte George.
    »Ich bin nur der von uns beiden gewesen«, entgegnete Randstable bescheiden, »der den vorletzten Fehler begangen hat.«
    Henker tätschelte sein tragbares Atomgeschoß. »Also, Männer, es sieht ganz so aus, als sollten nun Nägel mit Köpfen gemacht werden.« Er quetschte die Worte durch eine zittrige Kehle und zusammengebissene Zähne hervor. »Um vierzehn Uhr will man die übriggebliebenen gegnerischen Raketenstellungen ausschalten. Wenn wir uns beeilen, können wir im Startkontrollraum mitanschauen, wie sechsunddreißig MultiAttack-Raketen abdüsen wie Lützows Wilde Jagd.«
    »Sugar Brook hat die technischen Voraussetzungen für die MultiAttack-Raketen erarbeitet«, sagte Randstable mit abgehacktem Lachen. Er nahm die Hornbrille von der Nase und fing auf einem der Bügel zu kauen an. »Ich habe mich immer gefragt, wie mir wohl an dem Tag zumute wäre, falls die Vögelchen je aus ’m Nest flögen.«
    »Muß ziemlich aufregend sein, denke ich mir«, meinte George. Damit äußerte er, schlußfolgerte er in Anbetracht dessen, was aus Randstables Brust drang – einer Kakophonie unbeherrschter Stöhn- und Ächzlaute –, eine Untertreibung.
    Nachdem die drei Evakuierten einen schmalen Gang voller Röhren, Kabel, Steigleitern und Absperrhähnen durchlatscht hatten, gelangten sie an eine mit dem Hinweis FREIZEITBEREICH ZUTRITT FÜR UNBEFUGTE VERBOTEN beschriftete Luke. Henker entschied, sie seien Befugte. Sie gingen durch und gerieten in eine lebenslustige unterseeische Metropole, in der man lediglich alle Einrichtungen den beschränkten Platzverhältnissen eines U-Boots angepaßt hatte. Das Trio strebte durch einen mit dem Straßenschild VERGNÜGUNGSPARK gekennzeichneten Korridor. George bemerkte ein raumsparend integriertes Rollschuhstadion, eine leicht verkürzte Bowlingbahn, eine Minigolfanlage, auf der es an jedem Hindernis galt, den Ball ins eine oder andere Loch einer Gips-Seejungfrau zu befördern, sowie zwei knapp bemessene Innenschwimmbecken. Das Wasserbecken für die Unteroffiziere und Mannschaften hatte eine Tiefe von zwei Metern, der Swimmingpool für die Offiziere von zwei Metern fünfzig. Im Wachsein ereilte George ein Alptraum: Die Leutnants Max und Moritz umwickelten seinen Leib mit Ketten und warfen ihn in den Offiziers-Swimmingpool. Oder vielleicht zögen sie die Bowlingbahn vor: Dort könnten sie ihn fesseln und hinter die Kegel setzen.
    Vor einem kleinen Kino leuchtete ein Reklamevordach. SERGEJ BONDARTSCHUKs ›KRIEG UND FRIEDEN‹ lautete die Werbung. An der Kasse standen mehrere Blaujacken Schlange. Zum Glück waren Max und Moritz nicht dabei. Gegenüber des Kinos bedrohte das Spielkasino Silberdollar durch seinen Wirrwarr an Lichtern und Sofortgewinn-Verheißungen Georges Augen mit Pupillenschlag. Durch die Schwingtür sah er einen Marine-Obergefreiten Karten zum Vingt-un austeilen. Das Klicken und Läuten von Spielautomaten lärmte in den Korridor heraus.
    Hinter einem Schott mit der Aufschrift WAFFEN-SYSTEM-ABTEILUNG ZUTRITT FÜR UNBEFUGTE VERBOTEN standen die Evakuierten

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