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So muss die Welt enden

So muss die Welt enden

Titel: So muss die Welt enden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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herum«, sagte Morning. »Aber trotzdem hat die Zeit gewissermaßen kehrtgemacht. Die ehemals moderne Stadt Billings in Montana hat sich ins London des vierzehnten Jahrhunderts zurückentwickelt.«
    Sie drehte am Schärfenregler.
    »Es ist jetzt soweit«, kündigte sie an, »daß wir uns mit Seuchen befassen.«
    Nein, nein, dachte George, es ist soweit, daß wir uns mein Laterna-Magica-Glasdia angucken. Es ist höchste Zeit, daß wir Hochzeitspläne machen.
    Vor einem Bunkereingang hockte ein kräftiger Überlebender im Tarnanzug. Er trug eine überraschend intakte ARES-Montur und hatte im Gesicht ein zerfressenes Grinsen. Auf seinen vom Tarnmuster scheckigen Knien lag ein Heckler & Koch-Sturmgewehr. Im Hintergrund gaben ordentlich aufgestapelte Leichen, als wären sie Sandsäcke, ein Bollwerk gegen zudringliches Gesocks ab. George spürte, daß dieser Atomkrieg das Beste war, was dem Mann hatte passieren können.
    »In seinem Unterschlupf steht ein vielseitig sortierter Vorrat an Dosensuppen«, erklärte Morning. »Er hofft, daß Fremde sie ihm zu stehlen versuchen, damit er sie erschießen kann. Schon vor dem Krieg ist in elf Bundesstaaten des Westens der Vereinigten Staaten bei Ratten die Beulenpest endemisch aufgetreten.«
    Die Lymphknoten im Hals des Überlebenden hatten die Größe von unter die Haut gepflanzten Golfbällen. Morning drehte das Periskop. Montana erzitterte unter den Pfoten unüberschaubar gewaltiger Rattenvölker. Unbestattete Tote pflasterten die Straßen.
    »Wären Sie eine Krankheit – virusbedingte Gastroenteritis, ansteckende Gelbsucht oder Amöbenruhr –, könnten Sie sich keine vorteilhafteren Verhältnisse als auf der Erde nach dem Atomkrieg wünschen. Die ultraviolette Strahlung hat das Immunsystem Ihrer Wirte neutralisiert. Die allgegenwärtigen Insekten verbreiten Sie praktisch überall. Keine pasteurisierte Milch, keine Kühleinrichtungen für Lebensmittel, keine Müllabfuhr, keine Impfaktionen… Das alles sind günstige Voraussetzungen für Ihre Existenz.«
    In jeder Richtung der Kompaßrose gedieh ein neuer Mikroorganismus. Kein Todesfall blieb abstrakt. An der Cholera starb ein bestimmtes nigerianisches Kind, lag zu einer grausamen, scheußlichen Pietä ausgestreckt auf dem Schoß seiner Mutter. Ein konkreter rumänischer Maschinist verreckte an Meningokokken- Hirnhautentzündung, ein ganz bestimmter iranischer Lehrer an von Läusen übertragenem Typhus…
    Freitag.
    »Unfruchtbarkeit«, sagte Morning.
    Das Wort klang neutral, klinisch, frei von Bedrohlichem. Dann blickte George in die Zeitfalten.
    In Kambodscha saßen ein Mann und eine Frau auf einem Dorfplatz und weinten. »Die Strahlung«, erläuterte Morning. »Sie können nie Kinder haben.«
    Sie müßten die Stadt mit den Marmormauern finden, dachte George. Nostradamus hat das Problem vorausgesehen.
    Eine polnische Mutter erlitt eine Fehlgeburt. Das Gespenst der Fehlgeburt suchte eine Familie in Pakistan und eine in Bolivien heim. Schlimmer jedoch waren die Lebendgeburten. Eine Ära war angebrochen, in der es Tausender von Kindern bedurfte, um die Welt mit evolutionär-selektiven Vorteilen wie Armen, Beinen und Großhirnrinden auszustatten. »Man paare ein verstrahltes Chromosom mit einem zweiten verstrahlten Chromosom«, sagte Morning, »und es kommt dabei nichts Gutes heraus.«
    »Eins müssen Sie mir mal verraten«, bat George, dem von Übelkeit schwindelte. »Wer behandelt Ihr Überlebenstrauma?«
    Die Therapeutin strich eine Falte ihres grauen Rocks glatt. »Ich weiß es nicht«, antwortete sie im kleinlautesten Tonfall, den er je von ihr gehört hatte.
    *
    Aus sittlichen Erwägungen lehnte der junge Pastor Kiefer Sparren es ab, Samstagabends an der Erebus-Pokerrunde teilzunehmen. Beim Glücksspiel, so wußte er, handelte es sich – nach Sexualität und Ökumenismus – um Satans drittliebstes Freizeitangebot. Die übrigen Evakuierten, die diese Überzeugungen nicht mit ihm teilten, versammelten sich an den Samstagabenden im Innern des Silberdollar-Kasinos, in dem die Spielgeräte unablässig flackerten und ratterten, um den grünen Filztisch.
    Henker Tarmac sortierte die Joker aus, mischte die übrigen Karten und verteilte sie. Mittlerweile hatte er noch zweieinhalb Kilo abgespeckt. »Setzen Sie. Wir spielen mit sieben Karten.« Die Spielkarten glitten durch seine Hände. »Zwei sticht.«
    »Heute hab ich durchs Periskop gesehen…«, fing George zu erzählen an.
    »Sie haben gesehen, Sie haben gesehen«, maulte

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