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So muss die Welt enden

So muss die Welt enden

Titel: So muss die Welt enden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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George allmählich, Ausmaß und Tragweite des Geschehens zu überblicken. Stundenlang hintereinander hielt er auf seinem Heimatplaneten Umschau, steckte die Nase tief in die Zeugnisse des Untergangs. Er guckte sogar nach den Sternen. Nichts war von ihnen zu sehen. Außer verbranntem Land, vergiftetem Wasser, strenger Stille, da und dort einer Muschel, gelegentlich einer Schabe, hier und da einem Grasbüschel, den Trauben eingesalzter Leichen, die in den südatlantischen Zeitfalten schwammen wie Flöße aus Dörrfleisch, gab es nichts mehr.
    Brian Overwhite hatte unrecht. Der menschliche Geist konnte sich an alles gewöhnen. An Kindesmißhandlung durch Eltern. An Auschwitz. Und ebenso an das Sonnentod-Syndrom. Es ist bloß Blut, sagte der Verstand. Es sind nur Schmerzen. Die Aufgabe ist lediglich, Menschen in Öfen zu schieben. Was wir erleben, ist einfach nur das Ende der Welt…
    Vor langem war an einem letzten Junitag Georges Großvater verstorben, ein Ereignis, das die Familie in eine peinliche Klemme gebracht hatte. Sollte sie am 4. Juli, dem Nationalfeiertag, das gewohnte Picknick veranstalten? Georges Großvater hatte den 4. Juli stets liebend gern gefeiert. Für diesen Anlaß hatte er jedesmal Raketen gebastelt, als deren Sprengladungen Kirschen dienten, und sie gegen ein Balsaholz-Modell Fort McHenrys eingesetzt. Während der Schlacht, in deren Verlauf Spielzeugfregatten Murmeln auf die Zinnen verschossen und rings um eine kleine, zerfledderte Fahne der Vereinigten Staaten die Kirschbomben platzten, sang die Familie die Nationalhymne.
    Den Ausweg aus dem Dilemma hatte Georges Tante Isabella gewiesen. »Vati wäre es recht, wenn wir feiern«, hatte sie beteuert. »Vati wäre mit uns unzufrieden«, hatte sie beharrlich versichert, »wenn wir uns keinen schönen Tag machen.«
    Man veranstaltete das Picknick, und zwar mit allem Jubel und Trubel. Beim Hufeisenwerfen segelten die Hufeisen nur so umher, Bier floß in Strömen, Banjos klimperten, man nagte alle Brathähnchen ab, Blaubeerkuchen verschwanden im Eifer des Gefechts spurlos in Schlünden, und über Fort McHenry leuchteten rot die Raketen. Alle waren sich darin einig gewesen, daß Tante Isabella die vernünftigste Festlegung herbeigeführt hätte.
    Und so kam es, daß George, wenn Obermaat Rush mit der Menükarte fürs Abendessen kam, nur noch die opulentesten und soßenreichsten Gerichte wählte. Immer häufiger besuchte er das Silberdollar-Spielkasino und ließ sich in vom Scotch hervorgerufenen Leichtsinn am Kartentisch auf die gewagtesten Spielrunden ein. Die Einladung zu Kapitän Sverres Festbankett verursachte ihm einen Nervenschauer der Freude nach dem anderen: Essen! Nachtisch! Kaffee!
    Der Menschheit wäre es recht, wenn ich feierte, sagte er sich. Die Menschheit wäre mit mir unzufrieden, wenn ich mir keinen schönen Tag machte.
    *
    Das mit Samtvorhängen dekorierte, durch Kristall-Kerzenleuchter erhellte Offizierskasino der Donald Duck lieferte einen überzeugungskräftigen Beweis dafür, wie geschmack- und anspruchsvoll sich Gelder des Verteidigungshaushalts investieren ließen. Im Gegensatz dazu orientierte sich die Festlichkeit selbst stärker am lebensfrohen Vorbild des kaiserlichen Roms, kokettierte ein wenig mit der Babylonischen Hure und erlaubte sich Anleihen bei Gomorrah: Goldene Teller. Mit Juwelen verzierte Trinkkelche. Das Tischtuch war so dick, daß es einen ganzen Liter teuren Weins aufsaugte, ohne ein Fleckchen zu hinterlassen. Das Bedienungspersonal, ein Dutzend Matrosen und Unteroffiziere, patrouillierten im dienstlichen Blau um die Festtafel, schoben mit Schinkenplatten, Rollbraten, Reihen von Brotlaiben, Suppenterrinen und Kannen samtigschwarzen Kaffees vollgestellte Wägelchen.
    Die Platzkarten staken in Keramikdelphinen. George hatte seinen Sitzplatz zwischen Overwhite und Pastor Sparren und geriet dadurch ins Kreuzfeuer einer Streitigkeit über das STIRB-III-Abkommen. (Offenbar hatte eine der Fernsehsendungen Sparrens den Ausschlag bei der Weigerung des Senats der Vereinigten gegeben, den Vertrag nicht zu ratifizieren.) Seine Bekannten wirkten auf ihn dermaßen in Kummer und Verwirrung gehüllt, als trügen sie graue ARES-Monturen. Das Aussterben der Menschheit trübte ihnen die Feststimmung. Wengernook nuckelte an einer unangezündeten Zigarette. Randstable baute aus dem Besteck sonderbare Perpetuum-mobile-Konstruktionen und warf sie zum Schluß eigenhändig um. Henkers Leibesfülle war auf knäppliche fünfundsechzig Kilo

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