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So muss die Welt enden

So muss die Welt enden

Titel: So muss die Welt enden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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drauf gehabt. Ich bin unschuldig. Aubrey wird Einlaß auf die gute, alte, widerstandsfähige Erde erhalten.

 
KAPITEL 9
     
    Worin die Donald Duck einen Schritt zurück macht und dadurch unserem Helden zu einem Schritt nach vorn verhilft

Morning las das letzte Kapitel von Tanja Kitchs Im Herzen brennt die Sehnsucht zu Ende, schloß das Buch und seufzte, ohne daß ihr Aufseufzen eine tiefere Bedeutung gehabt hätte.
    Ehe das Ende der Welt ihre Karriere vorzeitig abbrach, hatte Tanja Kitch in wildentschlossener Schreibwut über dreihundert Titel zum Liebesroman-Genre beigesteuert. Im Herzen brennt die Sehnsucht las sich inhaltlich so falsch, wie es Olaf Sverres linkes Auge war, aber weil der Roman von der Liebe einer Frau zu einem Mann erzählte, hatte er Morning trotzdem gerührt. Die treuherzige Vielschreiberin hatte ihr aufgezeigt, daß ihre Gefühle für George – sein rauhes Äußeres und seine täuschend gimpelhafte Persönlichkeit – eindeutig als Verliebtheit eingeschätzt werden mußten.
    »Du bist einer von denen, oder?« fragte er, kaum daß er ihr Behandlungszimmer betreten hatte.
    »Denen?«
    »Den Annullierten. Ich liebe einen Schatten.«
    »Ich bin ein Mensch«, sagte Morning. »Ich bin ein Mensch, du liebst deine tote Frau, und ich bin nicht sie.«
    George stieß ein heftiges, wüstes Aufstöhnen aus. Wozu wäre es gut, über Justine zu diskutieren? War es nicht vielmehr ihre Pflicht, sich auf die Zukunft zu konzentrieren? »Soll ich etwa glauben, es hätte in der Antarktis keine Annullierten-Therapeuten gegeben? Daß sie Unterstützung von außen holen mußten?«
    »Die Verfasser der McMurdo-Konvention haben von der Problematik des Überlebenstraumas nichts geahnt. Als sie in Chicago Randstable kidnappten, habe ich ihnen meine Dienste angeboten. Ich hatte ein Vorstellungsgespräch bei Sverre. Er hat mich sozusagen angeheuert. Ohne Bezahlung, aber mit der Gegenleistung, daß ich mein Leben, so wie’s kommt, bis zum Schluß leben darf.«
    Sie nahm das Opfermesser von der Wand und hielt die Schneide an ihr Handgelenk.
    »Mein Blut ist so rot wie deins, George. So rot wie das Blut der Unschuldigen, denen man mit diesem Messer das Herz herausgeschnitten hat.«
    George dachte an den Schmerz, den sie empfände, wich zurück. »Nicht. Ich hab in letzter Zeit genug Blut gesehen.«
    Sie war ein Mensch.
    Ein Mensch… Und eine Art von Prostituierter.
    »Wie kannst du für diese… diese Abgetriebenen arbeiten?«
    »Ich verdanke ihnen mein Überleben. Genau wie du.«
    »Sie kotzen mich an.«
    »Sie konsultieren mich. Sie sind, wie du dir vielleicht denken kannst, gequälte Wesen. Die hohe Zahl der Fälle ist für mich eine schier unverkraftbare Arbeitsbelastung. Ich versuche mein Bestes. Ich höre ihnen zu, aber ich kann ihnen nicht geben, was sie möchten.«
    »Und das wäre…?«
    »Erinnerungen. Echte, richtig starke, lebhafte Erinnerungen. Sie erzählen mir über ihre Geliebten, Freunde, Werdegänge, Neigungen, aber für sie ist alles so, als hätte jemand anderes es erlebt. Oberstabsbootsmann Sparks hätte gerne von mir vermittelt, wie Musik wirklich gewesen ist, gute Musik – Jazz, Barockmusik, nicht das zuckersüße Gegeige, das hier aus den Lautsprechern dudelt. Er hätte Flöte gespielt. Dann ist da Kapitänleutnant Grass. Er versucht, sich an seinen Bruder zu erinnern, an Angelfahrten, an Touch-Football. Es passiert selten, daß Verwandte sich tatsächlich finden. Die Zeit ist zu knapp, der Kontinent zu groß, und wenn es klappt, dann meistens im falschen Alter. Greisinnen begegnen ihren vorpubertären Ehemännern. Jungverheiratete treffen ihre in mittleren Jahren befindlichen Kinder.«
    »Und sie sind immerzu bloß traurig?« fragte George.
    »Sie kennen auch ihre schönen Momente, gewisse Gelegenheiten, bei denen du und ich von Befriedigung, sogar Freude sprächen. Aber überwiegend ist das Leben für sie, als läsen sie es in einem Buch. Gestern sagte Hauptgefreiter Raskin zu mir: ›Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in einem grauen, stillen, leeren Zimmer, machen einen endlosen Fragebogentest mit, beantworten jede Frage korrekt, und Sie wissen, Sie werden niemals etwas anderes erleben.‹« Mit dem Opferdolch ritzte sie ihrem Schreibtisch eine Kerbe ein. »Du darfst die Annullierten-Existenz nicht mit wirklichem Leben verwechseln, George.«
    »Ich kann sie trotzdem nicht riechen. Jeder hätte den blöden Abgabevertrag unterschrieben.«
    »Laß mich raten. Du fühlst dich… hereingelegt?

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