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So muss die Welt enden

So muss die Welt enden

Titel: So muss die Welt enden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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dessen einer Seite Sonnenschein durch Fenster flutete, an dessen anderer Wand Gemälde hingen. Er blieb vor einem Bild stehen, das Morning im Hochzeitskleid zeigte; jedenfalls war es wahrscheinlich, daß es sich um Morning handelte, obwohl die Frau auch leichte Ähnlichkeit mit Justine hatte. Die Signatur stammte von Leonardo. Als nächstes betrachtete er ein mentales Gemälde seiner selbst und Mornings beim Liebesakt, beim Zeugen der Folgegeneration. Ach, wie er das Bumsen vermißte, es ihm zuwider war, sich aufs Masturbieren zu beschränken. (Von nun an darf niemand uns zusammen sehen……bleibe ich aus deinem Leben gestrichen.)
    Internationales Militär- und Ziviltribunal? Pah! Internationale Annulliertenfeme. Klar, Henker hatte seine Tücken, wenn ihm eine Laus über die Leber lief, war er zu schnell mit seinem tragbaren Atomgeschoß zur Hand, und er hatte nicht gerafft, daß eine Nation, die nicht mehr existierte, auch keine Verteidigung mehr brauchte, aber Vorwurf der ›Verbrechen an der Zukunft‹ jedoch schlug dem Faß den Boden aus. Overwhite? Ein Windbeutel, gewiß, aber kein gefährlicher Mensch. Randstable? Er konnte kaum durchs Zimmer gehen, ohne irgendwo anzustoßen. Wengernook? Er pfuschte beim Pokern, aber das war auch schon alles. Pastor Sparren? Ach was. Nein, keiner von Georges neuen Bekannten hatte es verdient, in so einer Bredouille zu stecken.
    Ein ekelhafter Geruch schreckte George aus seinen Überlegungen. Er richtete sich auf und spähte um die Rundung des Abschußrohrs 16. Ein junger Zivilist, der ihn an Martin Bonenfant erinnerte, aber blondes Haar und eine Gesichtshaut wie ein Säuglingspopo hatte, hockte in der Mitte des Raketenbunkers, öffnete gerade eine Bodenluke. Er trug einen Straßenanzug. Der Gestank drang offenbar aus dem Kleidersack, den er auf der Schulter schleppte.
    Der Mann entschwand durch die Luke nach unten. George huschte hinüber und folgte ihm abwärts.
    Unter dem Raketenbunker lag ein düsterer, miefiger Gang. Er hätte von einem Riesenregenwurm gegraben worden sein können. (Gab es jetzt Annullierten-Regenwürmer auf der Welt?) Der junge Mann betrat eine von bläßlichem Licht unklarer Herkunft erhellte Nische. Vom Boden bis zur Decke reichten rostige Eisenstangen, machten aus der Nische einen Käfig. Hinter dem Gitter kollerte und zappelte als Gefangener ein Vogel in der Größe eines Pterodaktylus.
    Im ersten Augenblick dachte George, er sähe wieder Mrs. Covingtons Laterna-Magica-Vorführung. Aber nein, dieser Geier – sein Geier, wie Morning sich ausgedrückt hatte – lebte und war so putzmunter, wie es ein Leichen- und Kadaverfresser nur sein konnte. Er sah genauso wie über dem Wildgrover Zielgebiet aus, hatte ausgefranste Flügel, gelbe Glitzeraugen, den Löffelbaggerschnabel und die gleiche Krummhalsigkeit. Und Morning hatte unterstellt, er sei lediglich eine Halluzination gewesen. Ha…!
    Der junge Betreuer des Geiers zerrte einen mausetoten Pinguin aus dem Kleidersack. Er sah total bescheuert aus, wie er da in seinem Straßenanzug stand und einen toten Pinguin in der Hand hielt. Er schob den Pinguin durchs Gitter. Der Geier drückte das Aas mit seinen Krallenfüßen auf den Boden und zerriß es, fraß es geräuschvoll. Der Betreuer zog sich zurück, würgte sichtlich, konnte seinen Widerwillen nicht meistern.
    Während er durch den Gang zur Luke schlich, packte ein Tremor George. Meine Familie ist tot, mein Heimatplanet ist tot, meine Keimdrüsen sind tot, ich bin Häftling der massakrierten Zukunft, man will mich für ein Verbrechen aufhängen, das ich nicht verübt habe, und an Bord dieses U-Boots sitzt ein Geier, ein echter Geier, eine richtige, große Wildsau von Geier…
    Er kletterte aufs Raketenbunker-Deck. Geier seien eine Tierart ohne Männchen, hatten Morning Valcourt zufolge die alten Ägypter angenommen. Und daß der Wind sie befruchtete.
    *
    George fiel ein, daß er nichts über Mornings religiösen Glauben wußte. Also besuchte er am Sonntag – in der Hoffnung, sie könnte dort aufkreuzen – den Gottesdienst.
    Die Bordkapelle der Donald Duck war eine ökumenische Allzweckeinrichtung und dementsprechend dermaßen umfangreich ausgerüstet mit Meßbüchern, Bildwerken und sonstigen Kultgegenständen, daß nahezu alle rituellen Bedürfnisse gedeckt werden konnten, die ein Seemann der Kriegsmarine der Vereinigten Staaten haben mochte. George saß mit dem Presbyterianer Henker, dem Lutheraner Wengernook und drei Unteroffizieren ungewisser

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