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So muss die Welt enden

So muss die Welt enden

Titel: So muss die Welt enden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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Annullierten existierten. Sie hatten den antarktischen Kontinent in Besitz genommen. Sie verkörperten eine so handfeste Wirklichkeit wie südafrikanischer Granit.
    »Das Fortbestehen einer elektrischen Ladung und die Beachtung des Gleichgewichts zwischen Teilchen und Antiteilchen vorausgesetzt«, sagte Randstable, »spricht nichts dagegen, daß eine Anzahl Moleküle, auch organischer Moleküle, sich materialisiert und zu Lebensformen zusammenschließt… Ähm… Selbstverständlich bloß, wenn man davon ausgeht, daß die Diskrepanz nicht auffällig ist.«
    »Und wenn die Diskrepanz auffällt?« fragte Wengernook.
    »Dann verschwinden die Moleküle natürlich«, antwortete Randstable.
    »Aber wir haben sie bemerkt«, sagte Henker. »Und die Zombies sind noch da.«
    »Das hat mich auch verblüfft«, bekannte Randstable.
    »Wissen Sie, was ich glaube, William?« meinte Wengernook. »Ich glaube, Sie wissen selber nicht, was für einen Scheiß Sie da quatschen.«
    »Ich wüßte gerne«, sagte George, »ob uns eine faire Verhandlung erwartet.«
    »Und ich wüßte gerne, ob das Christkind schon Kuchen backt«, entgegnete Henker. Er versuchte die Karten zu mischen, aber sie fielen kreuz und quer auf den Tisch. »Eines dürfen Sie mir abnehmen, Freunde, die ganze Angelegenheit ist ein kompletter Schwindel, etwas ähnliches wie Stalins Schauprozesse. Die besten Chancen böte uns ein Ausbruch.«
    »Mein Vater ist Anwalt gewesen«, sagte Wengernook. »Die gesamten Anklagepunkte, die gegen uns erhoben werden sollen, ergeben insgesamt nichts als eine sogenannte rückwirkende Anklage. Wir haben gegen keine Gesetze verstoßen, deshalb mußten sie ex post facto welche erfinden. Falls Bonenfant seine Aufgabe versteht, kann er durchsetzen, daß der Prozeß wegen mangelnder Präjudiz platzt.«
    »Vielleicht sollten wir lieber einfach aussagen«, schlug Overwhite vor. Er tastete sein Kinn nach Kiefertumoren ab. »Mehr oder weniger habe ich für den Standpunkt dieser Leute Verständnis.«
    »Zum Teufel, Brian, das ist nur ein Haufen Lynchrichter«, erwiderte Henker. »Das ist ’n Femegericht. Ist Ihnen das nicht klar?«
    »Ich denke mir, wir sind ihnen was schuldig«, sagte Overwhite.
    »Wir sind ihnen überhaupt nichts schuldig«, widersprach Henker.
    »Wir schulden ihnen eine Erklärung«, entgegnete Overwhite standhaft.
    »Wir sind unschuldig«, sagte Wengernook.
    »Sie sind unschuldiger als wir«, antwortete Overwhite.
    »An ihrer Stelle«, sagte George, »würden mich auch ’ne ganze Menge Fragen beschäftigen.«
    *
    Morning Valcourt befand sich nicht in ihrem Behandlungszimmer. Im Rollschuhstadion war sie nicht anzutreffen. Auf der Bowlingbahn ließ sie sich nicht blicken. Im Kino saß niemand.
    Er blieb zur Filmvorstellung dort, sah sich Panik im Jahre Null an. In diesem billigen Melodram der Filmfirma American International überlebte Ray Milland einen atomaren Holocaust, indem er mit einem Auto voller Lebensmittel aufs Land fuhr.
    George ging in die Bordbibliothek. Morning traf er dort nicht an. Er suchte sich ein Mittelstufen-Biologiebuch heraus und blätterte es durch. Die Passage über die männlichen Fortpflanzungsorgane war überraschend detailliert und freimütig gestaltet. Eine Keimdrüse war im Querschnitt abgebildet. Unmißverständliche Zeichnungen gaben die Hodenkanälchen, die Spermatiden, die Spermatogonien sowie die Spermatozyten wieder. »Ihre sekundären Spermatozyten wandeln sich nicht in Spermatiden um«, hatte Dr. Brust ihm mitgeteilt. Er knallte das Lehrbuch zu und lächelte voller Genugtuung. Wenn ich in der Marmorstadt bin, dachte er, kann ich genau angeben, was gemacht werden muß…
    Er beschloß, einmal Kapitänleutnant Grass’ hydroponische Apfelsinenpflanzung zu besichtigen. Vielleicht mochte Morning gern Apfelsinen.
    Fruchtig-frischer Obstduft durchzog den Raketenbunker. George tat einen Blick in Abschußrohr 16. Das Apfelsinenbäumchen machte einen kräftigen, fruchtbaren Eindruck. Er streckte sich nach einer Apfelsine und pflückte sie vom Zweig. Saftig. Ein rundum tadelloses Stück Obst. Aber waren Apfelsinen nicht inzwischen ausgestorben? Hatte man hier Annullierten-Apfelsinen ein flüchtiges Wachstum auf Erden zugestanden?
    Er stieg aus Abschußrohr 16, kauerte sich aufs kühle Stahldeck und fügte sich ins Warten, als wollte er Wache halten. In seiner Phantasie multiplizierte seine Familie in spe sich zu einem regelrechten Museum. Im Geiste schlenderte er durch einen hellen Korridor, auf

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