So nah am Leben
unterstützt. Der Anblick erfreut sie dennoch, weil er ihr bewußt macht, daß es sich hierbei um die Rohre des Badezimmers in der nächsten Etage handelt, welches auch sie benutzen kann. Und so macht sie sich mit Handtuch und Shampoo auf ins nächste Stockwerk.
Das Haus liegt in absoluter Stille. Es ist Sonntagmorgen, noch vor halb acht. Alles scheint zu schlafen. Nur die alten, schwarzbraunen Dielen unter ihren Füßen knarren das Lied der Jahrhunderte. Was für ein schöner Ort — schwerfällig, aber schön, denkt Samantha und versucht, der Dusche etwas heißes Wasser abzuringen. Das erfordert mehr Geschick, als ihr heute morgen zur Verfügung steht. Also fällt das Haarewaschen wieder aus. Kalt geduscht, aber gut gelaunt, kehrt sie in ihr Zimmer zurück.
Für heute morgen hatte sie sich noch etwas Weiteres vorgenommen. Neben Gymnastik und Meditation will sie unbedingt ihren Rucksack erleichtern. Sie plaziert ihn auf dem großen Bett und räumt sorgfältig die einzelnen Fächer aus. Sie breitet alles auf dem Bett aus. Einiges davon darf nicht mehr zurück. Aber was?
Sie betrachtet die ausgebreiteten Sachen mit sehr kritischem Auge. Wozu braucht sie eigentlich drei kleine Schreibblöcke? Reicht nicht der angefangene für das Tagebuch? Warum im Rucksack tragen, was in jedem Laden zu kaufen ist? Also zwei davon beiseite. Und wie komfortabel die gar nicht so kleine, lederne Kulturtasche aussieht — wirklich schick, aber ein Plastikbeutel würde es auch tun. Und das abgetragene schwarze T-Shirt, das sie mitgenommen hat, weil sie es tragen und dann wegwerfen wollte. Sie hat es noch nie angehabt... es war ihr all die Tage bereits zu schäbig... ab auf den Stapel zu Papier und Kulturtasche.
Ah, die Reserveshorts — nur für den Fall, daß die beiden anderen Hosen den Weg nicht überstehen. Extra gekauft — die wird sie wahrscheinlich nie tragen, genauso wenig wie das dazugehörige Reservehemd. Beides wird sie mitnehmen und heute abend in Navarrete in einer Herberge lassen.
Das erinnert sie an Carla, die sie vorgestern in der Herberge traf. Carla hat nur die Sachen mit, die sie am Leibe trägt, und im Rucksack einen Badeanzug, den sie insbesondere dann braucht, wenn sie die wenigen Sachen wäscht und über Nacht trocknen läßt. Ganz schön mutig. Und prompt hat irgend jemand am Morgen — wohl versehentlich — ihre Hose von der Leine genommen. Sie hatte Glück, Herbergsvater Bodo hatte liegengelassene Shorts.
So in etwa stellt sie sich das auch mit ihren Sachen vor. Sie sollen auf jemanden treffen, der sie nötiger braucht als sie. Also raus damit und auf den Haufen. Und dann die kleinen Sachen. Zweimal Mückenspray? Ja, gab es im Doppelpack. Raus mit einem. Und die vielen Reserven von allem Möglichen... weg damit.
Sie schaut sich das kleine Häufchen an, nimmt es in die Hand und wiegt es abschätzend. Das sind bestimmt mehr als drei Pfund. Und vor allem wird sie sich nicht mehr mit den riesigen Wasservorräten belasten. Zwei Liter Wasser machen zwei Kilo. Eine Flasche muß reichen.
Insgesamt hat sie vermutlich fünf Pfund zusammenbekommen, die sie allesamt in der Kulturtasche verstaut und einfach im großen Papierkorb im Zimmer läßt. Samantha ist mit zwölf Kilo losgegangen und hat jetzt unter zehn! Bravo!
Samantha ist zufrieden mit sich, packt die restlichen Sachen in den Rucksack und macht sich leise aus dem Haus. Vor ihrer Zimmertür findet sie noch zwei wunderschöne, reife Pfirsiche, die die Wirtin offensichtlich als Frühstück für sie hingelegt hat. Eine sehr liebevolle Geste, die sie dankbar annimmt. Sie steckt sie in das Seitenfach ihres Rucksacks und versucht, so leise es die Dielen zulassen, das Haus zu verlassen.
Draußen wartet ein sonniger Morgen mit milden Temperaturen auf sie. Viana liegt noch im Tiefschlaf. Gegenüber schlägt die Kirchturmuhr gerade halb neun. Die Straßen sind menschenleer.
Der Weg führt sie durch eine Gartenlandschaft vor den Toren der Stadt, hinaus in die abgeernteten Getreidefelder. Dann folgt sie kurz einem Bachlauf und gelangt in die ersten Weinfelder. Es ist der Beginn der Weinberge Riojas.
Mit ihrer mutigen Entscheidung, ihre Füße über Tempo und Distanz entscheiden zu lassen, hat sie sich ihren Ehrgeiz und damit eine riesengroße Last genommen. Fröhlich schreitet Samantha die erste Stunde des Weges durch die Einsamkeit.
Dann trifft sie auf ein Haus, das von Mutter und Tochter bewohnt und bewirtschaftet wird. Sie haben eine kleine
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