So nah am Leben
nehmen lediglich eine Spende, und wer bescheiden lebt, kann mit einem schmalen Urlaubsbudget recht weit kommen.
Die Mehrheit der Pilger kommt wohl nicht aus religiösen oder spirituellen Gründen.
Auf dem Camino ist alles erlaubt. Jeder geht ihn so, wie er mag, und aus seiner eigenen Motivation heraus.
Samantha wirft einen Blick auf die lange Schlange der Pilger und schätzt ab, daß es sich auf keinen Fall zu warten lohnt, bis irgend jemand von der Herberge Zeit hätte, um sich ihr Anliegen anzuhören. Außerdem ist es ihr nicht wichtig, sich zu erklären. Also läßt sie ihre Hose und das Hemd einfach auf einer Bank im Vorraum liegen. Entweder es nimmt sich jemand der Sachen an, oder sie bleiben liegen, bis morgen die Herberge wieder abgeschlossen wird. Dann kommen sie in den Fundus. So oder so eine gute Lösung.
Sie sitzt in der Lobby des Hotels, als Maria ihr strahlend entgegenkommt. Maria macht einen entspannten und zufriedenen Eindruck und erzählt ihr von den Begegnungen der letzten Tage. Auch von Massimo, dem jungen Italiener, den sie so ins Herz geschlossen hat. Sie hat ihn wegen seiner Art und seines Aussehens Christus getauft und schwärmt von seiner feinen und freundlichen Art.
Zur Feier des Tages entschließen sie sich, nicht an einem Peregrino-Menü teilzunehmen, sondern sich heute mal als einfache Touristen zu geben. Und so suchen sie in der Altstadt von Nájera nach einem gemütlichen Plätzchen; Maria bevorzugt eine Bar, Samantha ein Restaurant.
Schließlich wird Maria fündig. Die Tapas-Bar sieht gepflegt aus und verfügt über ein ansehnliches Weinregal. Allerdings hatte sich Samantha zum Wein auch ein nettes Essen vorgestellt. Mit einem prüfenden Blick erkennen beide gleichzeitig, daß die Innenausstattung für den heutigen Abend gerade recht ist, und sie setzen sich an den einzig freien Tisch.
Es ist auffällig, daß es hier kaum Touristen und schon gar keine Peregrinos gibt. Das gefällt ihnen, und sie bestellen eine Flasche Reserva. Sie sind im Rioja und wollen das heute abend auch genießen. Es gebe keinen Reserva mehr, sie bedaure, so die Antwort der Bedienung. So bestellen sie den besten Wein aus dem vorhandenen Bestand. Das ruft den Wirt höchstpersönlich auf den Plan. Da sitzen zwei Frauen und bestellen sich seinen besten Wein! Das hat ihn neugierig gemacht, und so bemüht er sich an den Tisch und begrüßt die beiden mit Handschlag.
Maria und Samantha schauen sich an und genießen es, daß sie einmal nicht als Pilger behandelt werden. Es entspinnt sich ein kleines Gespräch, und Samantha nutzt die Gelegenheit, um den Wirt zu fragen, ob seine Küche noch etwas anderes als Tapas hergibt. Der Wirt blickt ihr in die Augen, und es ist ihm anzusehen, daß er überlegt, welche Preiskategorie er ihr Zutrauen kann. Er entschließt sich für die teure und dreht sich ohne ein weiteres Wort um, direkt in Richtung Küche. Dann kommt er mit einem Teller zurück, auf dem wunderbar frischer Fisch liegt. Er präsentiert den beiden Frauen die verschiedenen Tiere und macht einen Zubereitungsvorschlag, dem sie nicht widerstehen können. Es wird ein opulentes Fischmenü, beginnend mit gegrilltem Oktopus, dazwischen ein kleiner Salat und als Hauptgang diesen wunderbaren Fisch, dessen Name ihnen unbekannt ist, und dazu gibt es seinen besten Wein. Samantha ist begeistert!
Die Laune der beiden Frauen wird immer besser, und ihre Stimmung ist ausgelassen. Nach zweihundert Kilometern zu Fuß mit dem Rucksack haben sie sich diesen Luxus wirklich verdient. Maria und sie genießen ihr Beisammensein, und noch während sie ihren Fisch verspeisen, strahlen Marias Augen plötzlich noch mehr. In der Tür steht Massimo mit ein paar Freunden. Und er strahlt zurück. Er läßt seine Freunde für einen Moment am Tresen zurück und gesellt sich zu Maria. Dann winkt er eine junge Frau zu sich herüber.
Es liegt ein Zauber über dem Tisch. In diesem Augenblick fällt Samantha das Tagesthema wieder ein: Achtsamkeit! Das Klima zwischen den Vieren ist bei aller Ausgelassenheit dennoch achtsam. Darin liegt der Zauber. Die Energien zwischen allen Anwesenden sind einander zugewandt, herzlich und voller Achtung für den anderen. Es ist ein wunderbarer Abschluß dieses Tages.
Schuld
Schuld ist von Menschen gemacht —
dieser Begriff ist im Kosmos nicht vorgesehen.
Es gibt keine Schuld —
deswegen gibt es auch nichts zu verzeihen!
Gestern abend ist es spät geworden, und heute morgen möchte Samantha am liebsten
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