So nah am Leben
und bis auf ihre Füße fühlt sie sich mittlerweile fit.
In den ersten eineinhalb Stunden kommt sie für ihre Verhältnisse zügig voran. Nach sechs Kilometern erreicht sie Azofra. Dort findet sie eine Bar für ihr Frühstück, auch wenn es schon fast Mittag ist.
Es ist Hochsommer in Spanien — die Sonne brennt vom Himmel herab. Selbst im Schatten kleben die Sachen am Körper, und die Vorstellung, in der Mittagshitze gehen zu müssen, erzeugt in Samantha einen gewissen Widerwillen. Vielleicht gibt es ja einen Bus, der sie ein Stück weiterbringt.
Während dieser Tageszeit sind draußen fast keine Menschen zu sehen. In einem Hauseingang stehen drei ältere Frauen und tauschen nachbarschaftliche Neuigkeiten aus. Sie sind so sehr in ihr Gespräch vertieft, daß sich Samantha durch ein Räuspern bemerkbar macht und die alten Damen vorsichtig nach einer öffentlichen Verkehrsanbindung fragt . Zwei von ihnen zucken mit den Schultern, und es sieht so aus, als ob sie diese Frage nicht interessiert, weil sie ihr kleines Dorf ohnehin nie verlassen. Die dritte, die eine Tasche mit Pfirsichen in der Hand hält, bietet ihr zunächst einmal einen Pfirsich an und zeigt ihr anschließend den Weg zur Bushaltestelle.
So etwa in einer Stunde würde der heutige Bus in Richtung Santo Domingo fahren, meint sie. Na prima, zur Haltestelle sind es nur ein paar Minuten. Es gibt sogar ein kleines Wartehäuschen dort, völlig
ungewöhnlich für dörfliche Verhältnisse. Meist gibt es nicht einmal ein Halteschild, das auf eine Bushaltestelle hinweist. Die Einwohner wissen einfach, wo der Bus hält, und manchmal hält der Bus auch dort, wo die Einwohner gerade stehen.
Samantha verschafft sich mit einem Blick auf die Verkehrsschilder eine ungefähre Orientierung, um zu wissen, in welche Richtung der Bus fahren müßte, dann setzt sie sich in das kleine Häuschen. Da es Teil ihres Weges ist, wartet sie sehr entspannt. Länger als eine Stunde und nichts passiert. Sie döst versonnen vor sich hin, und dann kommt endlich ein Bus. Leider fährt er in die falsche Richtung.
Es vergehen insgesamt mehr als zwei Stunden, in denen Samantha sich jedoch keine großen Gedanken macht, weil sie gehört hat, daß hier in der ländlichen Umgebung ein Fahrplan nur selten eingehalten wird.
Ein alter Mann geht schon zum zweiten Mal an ihr vorbei. Jetzt hat er sich entschlossen, sie anzusprechen. Er fragt sie, wohin sie wolle. Sie beschreibt ihm ihre Situation und erzählt ihm, daß sie auf den Bus nach Santo Domingo wartet. Er sieht sie mit großem Mitgefühl an und meint, der sei bereits vor einer halben Stunde gefahren, und eigentlich säße sie doch sowieso auf der falschen Straßenseite.
So viel zum Thema Orientierung ohne gelbe Pfeile oder Muschelzeichen!
In diesem kleinen Ort kann und will Samantha nicht bleiben, und da heute kein weiterer Bus mehr fährt, bleibt ihr nur noch die Möglichkeit, ihren Rucksack wieder auf die Schultern zu nehmen und den Weg doch zu Fuß fortzusetzen. Das hebt zwar nicht gerade ihre — Stimmung, aber „hätte“ und „würde“ nützen da jetzt auch nichts mehr. Sie will sich den Bedingungen dieses Weges stellen, und so schleppt sie sich mehr schlecht als recht die nächsten Kilometer durch die öde Landschaft. Es geht kräftig bergan, bis sie den Rand eines Plateaus erreicht. Samantha ist völlig erschöpft und staubig, als sich vor ihr eine Art Neubaugebiet mit einem Golfplatz auftut, der zu ihrer großen Freude bereits in Betrieb ist. Das ist die Chance für sie, die restlichen Kilometer nicht mehr laufen zu müssen. Es ist Samantha egal, wie sie aussieht und daß sie im Augenblick nicht zu der feinen Klientel der Golfer zu zählen ist.
Sie stürzt geradezu an die klimatisierte Rezeption und fragt nach einem Taxi. Die adrett gekleidete Dame hinter dem Counter hat Erbarmen mit ihr und zeigt sich sehr hilfsbereit. Ihr scheint es, genau wie Samantha, nicht von Bedeutung zu sein, wie Samantha gerade aussieht. Samantha bedankt sich herzlich bei der Angestellten, und dann fährt auch schon das Taxi vor und bringt sie nach Santo Domingo de la Calzada.
Ihr Hotelzimmer verfügt über einen Balkon, und Samantha hat sich entschieden, für heute keinen Fuß mehr vor die Tür zu setzen! Statt dessen ist heute mal wieder Waschtag angesagt. Nachdem Samantha ihre Sachen versorgt hat, geht sie in die kleine Bar des Hotels. Hier ist es angenehm kühl, nur der Fernseher brüllt wie in jeder anderen Bar auch. Samantha bekommt
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