So nah bei dir und doch so fern
in dem ich ihn bat, Schirmherr meiner Stiftung zu werden. Ich warte auf seine Antwort.
KAPITEL 44
»Alles, was wir uns zu Weihnachten wünschen, ist unsere Mama«
N ormalerweise zeige ich in der Öffentlichkeit keine Emotionen, unter meinen Freundinnen bin ich die Abgebrühte. Woher kam es also, dass ich am Weihnachtstag pausenlos heulte? Die Tatsache, dass ich mich im Herzen meiner Familie befand und sah, wie die Kinder immer aufgeregter wurden, je näher Heiligabend rückte, machte mir bewusst, wie anders alles hätte sein können.
In der Woche zuvor war ich zu einer Weihnachtsfeier in Osborn 4 eingeladen worden. Das Pflegepersonal und die Patienten, die sich noch an mich erinnerten, waren erstaunt, wie gut ich aussah und welche Fortschritte ich gemacht hatte. Beim Gehen war ich kaum noch auf meine Krücken angewiesen, auch wenn ich sie zur Sicherheit behielt. Ich erzählte den Mitarbeitern von meinem Plan, am Jahrestag meines Schlaganfalls den ersten Lauf zu machen, und mehrere Schwestern und Pfleger versprachen, mich dabei zu begleiten.
Heiligabend ist das einzige Mal im Jahr, dass wir gemeinsam zur Kirche gehen, um in Dore den Gottesdienst mit Kerzenlicht und Weihnachtsliedern zu erleben. Im Dorf war es schon lange Tradition, zusammen mit den Freundinnen und deren Kindern daran teilzunehmen, und selbst die Väter machten mit. Im Jahreskalender von Dore war es einer der Höhepunkte.
Allerdings hatten die Kinder mich gewarnt, ich dürfe nicht mitsingen. Angesichts der zwei Monate Gesangsunterricht, die ich genommen hatte, fand ich das schon ein bisschen harsch. Doch dann erinnerte ich mich an die peinliche Szene, die ich bei Indias Schulkonzert mit meinem Eselslachen heraufbeschworen hatte, und so sah ich ein, dass es vielleicht rücksichtsvoller sein könnte, den Mund zu halten. Dennoch war es ein komisches Gefühl, in der Kirche zu sitzen und bei meinem Lieblingslied nicht mit einstimmen zu dürfen. So beschränkte ich mich auf das Nächstbeste und nieste. Es begann mit einem Kitzeln in der Nase und entlud sich zum Zeitpunkt des stillsten Moments des Gottesdienstes, als der Pfarrer mitten in seiner Predigt war, als Eruption mit einer Lautstärke von 140 Dezibel. Wie peinlich!
Als der Gottesdienst zu Ende war, stand ich wieder mal im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Ob es nun das Niesen oder der Schlaganfall gewesen war, weiß ich nicht, jedenfalls kamen Leute, die ich seit Heiligabend letzten Jahres nicht mehr gesehen hatte, um mir alles Gute zu wünschen. Es war ein wunderbares Gefühl, außer Haus zu sein und ganz normale Dinge zu tun.
Nach dem Besuch des Gottesdienstes kamen wir unserer christlichen Gemeinschaftspflicht nach und begaben uns in den Dorf-Pub, um uns einen vorweihnachtlichen Schluck zu genehmigen, bevor es nach Hause zur Vorbereitung auf den Weihnachtsmann ging. India und Harvey glaubten schon längst nicht mehr an den Weihnachtsmann, doch mit Rücksicht auf Woody ließen sie mir meinen Willen, als wir im Garten einen Eimer Wasser und eine Möhre für Rudolph das Rentier sowie einen Mince Pie und ein Glas Baileys für den Weihnachtsmann deponierten, ehe wir zu Bett gingen.
Der erste Weihnachtstag war überraschend bewegend. Ich heulte wegen der kleinsten Kleinigkeit. Mark und ich hatten beschlossen, das Fest zum grandiosesten aller bisherigen Weihnachten zu machen. Acht Monate lang hatten sich die Kinder mit irgendwelchem Plunder zufriedengeben müssen, daher waren wir der Meinung, wir sollten für die Geschenke kein Limit setzen. Wir wollten es getrost übertreiben und sämtliche Wünsche erfüllen, die sie auf ihrer Liste für den Weihnachtsmann notiert hatten und die ausnahmsweise überraschend zurückhaltend ausgefallen war.
Ich hatte per Internet eingekauft: Designer-Klamotten und Turnschuhe für India, Cricket-Set und Manchester-United-Trikot für Harvey und einen Roller für Woody.
Um 7.00 Uhr linste ein Trio aufgeregter Gesichter um die Schlafzimmertür und schleppte die großen Strümpfe hinter sich her. Während sie ihre eigenen Geschenke auspackten, sagte jedes der Kinder, wie gerne es sich selbst eingepackt und sich mir als Geschenk überreicht hätte.
Ich weinte.
India nahm mich zur Seite und gestand: »Mama, ich weiß über den Weihnachtsmann Bescheid, und ich bin ihm dankbar für alles, was er mir gebracht hat. Aber am meisten freue ich mich, dass du hier bist.«
Und wieder heulte ich wie ein Schlosshund.
Um das Weihnachts-Postkarten-Bild einer idealen Familie
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