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So nah bei dir und doch so fern

So nah bei dir und doch so fern

Titel: So nah bei dir und doch so fern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Allatt
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halb voll!

KAPITEL 45

Laufen ist meine Freiheit
    S onntag, 6. Februar 2011, war der Tag, an dem ich dieses Kapitel meines Lebens abschließen und mich zu neuen Ufern aufmachen konnte. Es war auf den Tag genau ein Jahr her, dass ich den Schlaganfall gehabt hatte, und es war der Tag, für den ich mir und aller Welt versprochen hatte, wieder zu laufen. Dieses Symbol bedeutete einen gewaltigen Schritt im Zuge meiner Genesung. Meine Freunde und Angehörigen sahen darin die Feier meines Überlebens, doch ich betrachtete es eher als Demonstration, dass ich recht behalten hatte: Ich hatte angekündigt, wieder zu laufen, und jetzt würde ich es tun.
    Auf meiner Facebook-Seite postete ich eine Einladung zu diesem Ereignis und legte den Start auf zwölf Uhr mittags bei mir zu Hause fest. Anita hatte eine Reihe von Laufstrecken über 1 bis 5 km ausgesucht und führte den Lauf an, zu dem all meine Freunde und Verwandten und die Dorfbewohner willkommen waren.
    In den Wochen vor diesem Jahrestag hatte ich es geschafft, mit meinem Trainer an der Seite zwanzig Meter ohne Unterbrechung zu laufen. Als sich Freunde und Bekannte am Sonntag vor meinem Haus versammelten, meldeten sich Schmetterlinge in meinem Bauch. Meine ernsthaften Lauf-Freundinnen und Marks Mountainbike-Kumpel erschienen in Laufkleidung und Radtrikots, die Mütter der Schulkinder und deren Sprösslinge trugen Leggins und Turnschuhe, während die Großeltern und älteren Mitglieder der Kirchengemeinde in Wanderstiefeln aufkreuzten.
    Eine junge Ärztin, die mich zuletzt gesehen hatte, als ich noch auf der Intensivstation lag, schloss sich der Teilnehmerschaft an und war verblüfft von meiner Entwicklung. Selbst Alison, die mich ständig daran erinnerte, »ich laufe prinzipiell nicht«, erschien in Laufschuhen. Sie argumentierte, wenn ich an diesem bedeutsamen Tag lief, konnte sie sich schlecht verweigern. Sogar ein Kamerateam des örtlichen Fernsehsenders kam, um Aufnahmen für die Abendnachrichten zu machen. Es gab also überhaupt keinen Druck.
    Als ich die Schnürsenkel meiner Laufschuhe zuband, eine Aufgabe, die mich vor einem halben Jahr fünf Stunden gekostet hatte, setzte bei mir die Panik ein. Was, falls ich es nicht schaffte? Was, wenn ich versagte und mich öffentlich blamierte? Die Wahrheit ist, dass es keinen der Teilnehmer interessiert hätte. Aber ich besaß eben meinen Stolz.
    Mein Trainer war überzeugt, dass ich es schaffte. Wie einen Top-Sportler nahm er mich zur Seite, gab mir ein paar aufmunternde Worte mit auf den Weg und legte mir an meiner schwächeren linken Wade einen Tapeverband an, wie ihn Leute des Kalibers David Beckham, Lance Armstrong oder Andy Murray benutzen, um ihre Leistung zu steigern. In meinem Fall diente er dazu, die schwachen Muskeln zu unterstützen und ihnen die Bewegung zu erleichtern.
    Um 12 Uhr machte sich die Menschenmasse, die sich in Haus und Garten versammelt hatte, auf den Weg zum Start. In dem Moment, als ich in das Auto meines Trainers einsteigen wollte, um zur Startlinie gefahren zu werden, hörte ich jemanden meinen Namen rufen. Sue, eine Mutter wie ich, die ihren Schlaganfall überlebt hatte, und die ich bisher nur über Facebook kannte, war nach einer zweistündigen Fahrt mit ihrem dreizehnjährigen Sohn und dem Ehemann erschienen, um mich anzufeuern. Insgesamt zählte ich mehr als 150 Leute am Start, einschließlich Michelle Wheatleys Eltern, die hofften, für ihre Tochter ein Stück Inspiration mitnehmen zu können. Ihr Erscheinen verdeutlichte mir, dass diese Veranstaltung nicht nur für mich wichtig war.
    Alle Blicke ruhten auf mir. Als ich aus dem Wagen ausstieg, die matschige Laufstrecke betrat und meinen Platz an der Spitze des Feldes einnahm, war ich überwältigt. Ich hielt mich an meinem Trainer fest, nahm die Starthaltung ein und holte tief Luft. Und dann lief ich. Lief mich frei. Einen Meter, zwei Meter, zehn Meter – ich zählte jeden Einzelnen.
    Nach fünfzehn Metern hielt ich an, um Atem zu schöpfen, wobei ich mich bei meinem Trainer abstützen musste. Auf den Gesichtern meiner Freundinnen sah ich Freudentränen. Selbst die Fernsehreporterin, die ich erst vor einer Stunde kennengelernt hatte, kämpfte mit den Tränen. Ich hatte mir vorgenommen, mein ganz eigenes Ziel zu erreichen, doch jetzt wurde sichtbar, wie viel meine Genesung auch anderen bedeutete. Mein Kampf hatte Spuren bei meiner Familie hinterlassen, aber ich hatte auch Einfluss auf das Leben anderer genommen, wie Sue oder die Wheatleys.

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