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So nah bei dir und doch so fern

So nah bei dir und doch so fern

Titel: So nah bei dir und doch so fern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Allatt
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Gesellschaft des anderen wohl und konnten stundenlang über irgendwelchen Unsinn reden. Bevor ich Mark kennenlernte, hatte ich kein Vertrauen in Jungs. Ich habe zwei Brüder und eine Halbschwester, Abi, die vierzehn Jahre jünger ist als ich. Mein Bruder Paul ist zwei Jahre älter, während Tim ein Jahr jünger ist und ich als Wildfang in der Mitte eingekeilt bin. So wuchs ich in der Vorstellung auf, Jungs seien nervig.
    In der Schule war ich nie die Hübsche oder die Trendige, ich war Kate, die Hinterwäldlerin. Von auswärts kommend, aus Macclesfield, wo die Arbeiterklasse zu Hause war, wurden meine Freunde und ich in der Schule von den schicken Stadtkindern übel beschimpft. Obwohl ich nach außen hin vor Angeberei und Großspurigkeit fast zu platzen drohte, als ich Mark kennenlernte, war ich innerlich furchtbar unsicher. Beide meiner ernsthaften früheren Freunde hatten Schluss mit mir gemacht, und mein Selbstwertgefühl lag im Keller. Anfangs baute ich eine Mauer auf und erlaubte es Mark nicht, mir zu nahe zu kommen, da ich fürchtete, erneut verletzt zu werden, doch Mark schien mich zu mögen. Als sich die Monate zu Jahren auswuchsen, festigte sich unsere Beziehung immer mehr.
    Der Anflug von Wettkampf, der mit dem Apfelwein-Trinken begonnen hatte, setzte sich in unserer Beziehung als freundschaftliche Rivalität fort, so wie unter Geschwistern. Wenn wir wandern gingen, lief ich immer schneller und weiter als er. Eines Tages, als wir im Winter im Peak Distrikt eine Wandertour machten, stießen wir auf einen zugefrorenen Tümpel und schlugen ein Loch ins Eis. Ich tauchte meine nackte Hand hinein und forderte Mark heraus: »Wetten, dass du das nicht aushältst?«
    Er steckte seine Hand direkt neben meine in das eiskalte Wasser. Auge in Auge, mit einander kaum berührenden Händen, hockten wir da und zitterten, und keiner war bereit, aufzugeben. Ich hätte mir fast Erfrierungen geholt, aber ich siegte. Wie zwei kleine Kinder konnten wir nicht anders, als uns in immer verrückteren und manchmal auch gefährlicheren Dingen zu messen, wie am Springen in einen Stausee.
    Zu meinem zweiundzwanzigsten Geburtstag kauften wir neue Mountainbikes und verstauten sie hinten in Marks VW Polo für einen dreiwöchigen Campingurlaub in Frankreich. Ich erinnere mich, dass wir 4 000 Kilometer in sengender Hitze fuhren. Nachdem wir die Räder herausgeholt hatten, raste Mark wie ein Wilder davon, und ich trat wie verrückt in die Pedale, um ihn einzuholen. Ein anderes Mal waren wir zum Skilaufen in der Schweiz und verbrachten jeden Tag von morgens bis abends auf den Pisten, bis wir erschöpft zusammensanken und zu nichts mehr imstande waren. Wir liebten uns, wichtiger aber war, dass wir die besten Kumpel waren.

    Wenn ich Mark jetzt anschaute, sah ich die Angst in seinen Augen. Es gab keinerlei Wettkampf mehr zwischen uns. Er konnte wandern, sprechen, atmen, essen, schlafen und auf die Toilette gehen. Ich konnte gar nichts. Mark besuchte mich jeden Tag und saß stundenlang neben mir. Später erzählte er, manchmal sei es gewesen, »als ob man zu einem Stück Holz sprach«, dennoch schaffte er es immer, die spaßige und flapsige Fassade aufrechtzuerhalten.
    An manchen Tagen gelang es ihm, mich aufzumuntern. Wenn ich jedoch in Selbstmitleid versank, schimpfte ich innerlich: »Verpiss dich und lass mich allein!«
    Zuweilen brachte Mark eine Kamera mit und machte Fotos von mir. Damals hasste ich es, da ich alles andere als gut aussah und es als Übergriff empfand.
    Wenn er die Station verließ, brach Mark angesichts der grausamen Folgen meines Schlaganfalls regelmäßig in Tränen aus, wie ich später erfuhr. Auch ich weinte der Frau nach, die ich einmal gewesen war. Im Geiste wanderte ich zurück in die Anfangszeit unserer Beziehung, als wir uns nach fünf Jahren trennten, da er noch nicht heiraten und Kinder haben wollte, während ich bereit dazu war. Meine Mutter hatte meinen Bruder bereits mit achtzehn geboren, und ich spürte meine innere Uhr ticken. Inzwischen hatten wir uns Liebe »in guten wie in schlechten Tagen« gelobt, wir besaßen drei wundervolle Kinder, und plötzlich konnte ich Mark nichts bieten außer einer Zukunft, in der er mich würde pflegen müssen.
    Ständig fragte ich mich: Wann hat er die Nase voll von dieser einseitigen Konversation und verlässt mich? Meine Angst verknüpfte sich mit der Verunsicherung meiner Kindheit und drohte, mich wahnsinnig zu machen. Ich dachte ständig an die zehnjährige Kate, die

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