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So nah bei dir und doch so fern

So nah bei dir und doch so fern

Titel: So nah bei dir und doch so fern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Allatt
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erwacht war, hatte ich nicht mehr schlafen können. Die Nächte wollten nicht enden, und die Tage vergingen im ständigen Kampf, wach zu bleiben, und der vergeblichen Hoffnung, dadurch nachts vernünftig schlafen zu können. Das permanente Zischen der Geräte hätte eigentlich hypnotisierend wirken müssen, stattdessen ging es mir auf die Nerven. Als wäre das nicht genug, lag da auch noch dieser Patient in der Nähe, ein älterer Mann mit Demenz, der die ganze Zeit schrie und wild auf das Pflegepersonal eindrosch.
    Tagsüber ärgerte mich die kreischende Stimme nur, in der Stille der Nacht aber hörte sich sein Brüllen noch lauter an und störte mich in meiner Anfälligkeit noch mehr. Es empörte mich, wie er sich gegenüber dem Pflegepersonal äußerte, und ich hatte Angst, er könne seinen Zorn gegen mich richten und mir etwas antun, obwohl er realistisch gesehen keine Möglichkeit hatte, über die Gitter seines Bettes zu klettern.
    Eines Nachts hatte ich derartige Schmerzen, dass ich die Augen schloss und in einen Schlaf glitt, den ich für meinen letzten hielt. Ich hatte das Gefühl, am Rande eines Abgrunds zu stehen, hinter dem sich nichts befand. Ich war nie ein sonderlich religiöser Mensch und hatte auch keine Vorstellung, was das Leben im Jenseits bringen würde, aber ich hatte Geschichten über helles Licht und Tunnel gehört, die zum ewigen Frieden führen sollten. Ich sah kein Licht und niemanden, der mich zur anderen Seite hätte geleiten können, nur Düsternis. Als ich aufwachte, war es lediglich Wunschdenken gewesen. Ich spürte immer noch Schmerzen, und der Gedanke, dass es auf der anderen Seite kein höheres Wesen gab, machte mich noch einsamer und depressiver.
    In meinem durch die Medikamente vernebelten paranoiden Zustand entwickelte ich eine Abneigung gegenüber einer der Schwestern, einer älteren Frau, deren fehlenden Blickkontakt und mangelnde Einfühlsamkeit ich als Zeichen dafür deutete, ihr sei es lieber, wenn ich endlich sterben würde, obwohl sie vermutlich einzig darum besorgt war, mich am Leben zu halten.
    Daneben gab es noch eine Schwester mit dem typischen Akzent von Stoke-on-Trent, die ebenfalls ständig damit beschäftigt war, sich um die Geräte zu kümmern, doch bei ihr hatte ich zumindest das Gefühl, sie sei freundlich, wenn sie die Aufzeichnungen am Fußende meines Bettes überprüfte und ihre Arbeit verrichtete. Und dann war da noch eine hübsche junge Schwester, die sich die Zeit nahm, mit mir zu reden, und die sich trotz ihrer gerade achtzehn Jahre meiner annahm.
    Jeden Morgen machten die Ärzte ihre Runde und blieben am unteren Ende meines Bettes stehen. Bei den überlagernden Geräuschen der Geräte konnte ich nicht richtig verstehen, was sie sagten, doch ich dachte, sie diskutierten darüber, ob es sich lohne, mich am Leben zu halten, und ich hatte schreckliche Angst, sie könnten zu dem Schluss gelangen, ich sei den Aufwand nicht wert und das Bett solle für einen hoffnungsvolleren Fall genutzt werden.
    Was mir während dieser Zeit einen Heidenschrecken einjagte, war die Tatsache, dass die Herz-Lungen-Maschine ihren eigenen Willen zu haben schien. Der Schlauch, über den Sauerstoff in meinen Körper gepumpt wurde, machte sich manchmal ohne Vorwarnung selbstständig. Das geschah mindestens vier oder fünf Mal pro Woche, und mir blieb nichts anderes übrig, als dort zu liegen und zuzuhören, wie der für meine Lunge bestimmte Sauerstoff in die Luft zischte, wohl wissend, dass ich von meiner Lebensader abgeschnitten war. Oft dauerte es nur zehn Sekunden, bis die Schwestern ein Alarmsignal bekamen und den Schlauch wieder befestigten. Doch in diesen Sekunden wurde ich daran erinnert, wie zerbrechlich mein Leben und wie absolut abhängig ich von den Menschen um mich herum und den Maschinen war.
    Im Laufe dieser ersten Tage auf der Intensivstation starben zwei andere Patienten. Einer war ein älterer Mann mit einer schweren Brustkorbinfektion, der andere war ein vierzigjähriger Vater von zwei Kindern, der einen Herzinfarkt erlitten hatte. Bevor der jüngere Mann starb, hörte ich, wie die Ärzte und Oberschwestern mit den Angehörigen sprachen. Der Mann wurde künstlich ernährt, und sie überlegten, ob sie die Versorgung einstellen sollten. Ein paar Tage später war er tot, und seine Familie war am Boden zerstört. Ich musste mit anhören, wie sich die Angehörigen um seine Leiche scharten und weinten. Er war ein Elternteil wie ich, und die Begebenheit nahm mich sehr

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