So nah bei dir und doch so fern
die Zungenspitze zwischen den Zähnen blieb. Das war schon kniffliger. Als Abschluss hieß es, die Zunge rauszustrecken und mit ihr nach links und rechts zu wackeln, wobei ich an jeder Seite ein paar Sekunden stoppen musste.
Die gesunde Kate in meinem Kopf sagte mir, dies sei ein ziemlich jämmerliches Übungsprogramm. Aber wenn ich alleine in meinem Bett lag, wiederholte ich die Übungen immer und immer wieder.
Meine Therapeutin hatte vorgeschlagen, ich solle einen Spiegel benutzen, doch anfänglich lehnte ich das ab. Außer in der Glastür hatte ich mein Spiegelbild noch nicht gesehen, ich konnte mir jedoch vorstellen, wie entstellt ich aussah, und wollte mir den Anblick ersparen. Stattdessen wartete ich, bis meine Besucher kamen, und machte ihnen die Übungen vor.
»Hervorragend, Kate! Toll machst du das!«, war das einhellige Urteil. Es dauerte nur ein paar Wochen, bis ich die Kunst des mit der Zunge Wackelns dermaßen gut beherrschte, dass sie meinten, ich habe nicht ein einziges Mal gezuckt.
Für eine andere Übung zur Kräftigung meiner Wangen und Gaumensegel benutzte ich einen Tischtennisball. Mit einem Strohhalm zwischen den Lippen musste ich den Ball über den Tisch blasen wie bei einem Puste-Fußball-Spiel. Ich sollte diese Übung mit zugehaltener und offener Nase wiederholen, um zu spüren, wie sich der Luftdruck in meinem Mund aufbaute. Doch der einzige Druck, den ich dabei jemals spürte, war das Bedürfnis, furchtbar zu kichern, besonders wenn die Logopädie-Assistentin mit mir übte. Ich hatte ihr den Spitznamen »Go Ape Girl« verpasst, weil sie an den Wochenenden im »Go Ape« Kletterzentrum in Sherwood Forest arbeitete. Sie war quirlig und energiegeladen und reizte meine schelmische Ader.
Ich musste ständig an meine verrückte Zeit in Thailand denken und an die Reklame für diese entsetzlichen Ping-Pong-Sexshows in den Striplokalen des Patpong Districts, daher konnte ich mich kaum auf meine eigenen eher wenig erbaulichen Tischtennisübungen konzentrieren, ohne lachen zu müssen.
Im Laufe der Wochen gelang es mir schließlich, ohne fremde Hilfe auf der Bettkante zu sitzen, und das Therapeutenteam konnte jetzt zu »dynamischen Aufgaben« übergehen. Allerdings klingt das wahrscheinlich abenteuerlicher, als es war. »Dynamisch« nannten meine Therapeuten das Wenden meines Kopfs und das Ausstrecken meines rechten Arms im Sitzen.
Wenn meine täglichen therapeutischen Übungen beendet waren, trainierte ich alleine im Bett oder mit Unterstützung meiner Besucher weiter, bis ich erschöpft war. Das geschah nicht immer zur Freude meiner Therapeuten. Als ich einmal alleine im Bett lag und Fernsehen schaute, stellte ich fest, dass ich auf eigenen Befehl den Rücken von der Matratze heben konnte. Das war natürlich fantastisch, und ich übte es stundenlang.
Meine Therapeutin kam jedoch dahinter und ermahnte mich, damit aufzuhören. Meine Nackenmuskeln verrichteten die ganze Arbeit des Anhebens, nicht meine Rückenmuskulatur, meinte sie. So sei alles, was ich damit erreichen würde, die Herausbildung von Halsmuskeln wie bei einem russischen Kugelstoßer, während ich glaubte, die Muskulatur zu stärken, die mir zu mehr Gleichgewicht und möglicherweise sogar zum Aufstehen verhelfen würde.
Ich schlug ihren Ratschlag in den Wind, da ich glaubte, meinen Körper besser zu kennen, und fuhr damit fort, meinen Rücken zu beugen, wann immer ich konnte. Eines Tages brachte mir meine Therapeutin schließlich das Foto einer Bodybuilderin, deren Hals an einen Rottweiler erinnerte. Sie heftete das Bild an meinen Garderobenschrank und darüber die Worte: »Möchten Sie so aussehen?« Das saß. Ich hörte auf.
Alison berichtete mir später von einem Gespräch mit meiner Physiotherapeutin zu jener Zeit, als ich mir selbst alles abverlangte. Die Therapeutin sagte: »Die Schwierigkeit mit Kate ist, dass sie sich zu hohe Ziele setzt.«
Alisons Antwort lautete: »So ist Kate nun mal. Vor dem Schlaganfall war sie eine treibende Kraft. Vielleicht sollten Sie Fachleute ihr auf halbem Wege entgegenkommen.«
KAPITEL 22
Das ganze Dorf hilft mit
G RID 2 ist ein spezielles Computer- und Softwarepaket, das Patienten ohne Sprachvermögen und mit eingeschränkter Bewegungsmöglichkeit befähigte, Texte zu schreiben und mittels einer computergenerierten Stimme zu »sprechen«. Als ich damit begann, meinen rechten Daumen zu bewegen, erklärten die Therapeuten meinen Verwandten, diese Vorrichtung könne für mich vielleicht von
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