So nah bei dir und doch so fern
Harvey zeigte, dass er der Sohn seiner Mutter war, fuhr allen davon und erreichte als Erster das Ziel. India bewältigte die Strecke zusammen mit ihren Freundinnen in gemäßigterem Tempo, und selbst Woody schaffte ein gutes Stück, bevor er sein Fahrrad drei Kilometer vor der Ziellinie wutentbrannt hinwarf. Mark musste ihm klarmachen, dass er entweder zurückgehen konnte, was mindestens eine Stunde dauern würde, oder aber sein Fahrrad wieder aufheben und radeln konnte, was im Bruchteil dieser Zeit zu schaffen war.
Nachdem die Tour beendet war, gönnten alle Teilnehmer ihren schmerzenden Hintern eine Pause und genossen am Ufer des Stausees ein Picknick. Die Kinder spielten, die Erwachsenen hatten viel zu lachen, und Anita sagte später, es sei einer jener perfekten Nachmittage gewesen, an dem ein echtes Gefühl von Kameradschaft geherrscht habe.
Nur ein einziger Schatten lastete auf dieser Veranstaltung – ich. Es klang nach einem Nachmittag, an dem ich gerne mittendrin dabei gewesen wäre. Im Geiste der anderen und als reales Bild war ich dort. Mark hatte ein zwei Meter langes »Kate-Radrennen«-Transparent mit einem großen Foto von mir gemacht, das über der Start- und Ziellinie hing. Jeder Teilnehmer signierte das Transparent, sobald er das Ziel erreicht hatte. Als Mark es mir später am Abend ins Krankenhaus brachte, war er von ihrem Erfolg immer noch total begeistert.
»Ich weiß, dass ich anfangs nicht viel davon gehalten habe, aber es herrschte ein gewaltiger Gemeinschaftsgeist, und alle haben sich blendend amüsiert«, sprudelte es aus ihm heraus. »Sogar mein Chef und dessen Frau sind mit einem Korb selbst gemachter Plätzchen erschienen und haben die verteilt. Die Schulleiterin unserer Kinder ist vom Rad gefallen und hat sich vor allen lächerlich gemacht, wir haben gejohlt vor Lachen. Es wäre so schön gewesen, wenn du dort gewesen wärst, Kate. Wir haben 10 000 Pfund gesammelt, jetzt können wir deinen neuen Computer bestellen und dich zum Sprechen bringen.«
Sobald die Bestellung einmal gemacht war, brauchte ich nur noch ein paar Wochen zu warten, bis der Computer geliefert wurde.
KAPITEL 23
Besucher sind wie Busse
M ein volles Therapieprogramm hatte zur Folge, dass meine Besucher relativ oft Schlange stehen mussten, bevor sie zu mir kommen konnten. Jeden Tag gab es eine Stunde Physiotherapie, eine Stunde Ergotherapie und zwei Stunden Logopädie; nicht selten beanspruchten die Maßnahmen so viel Zeit, dass sie bis in die Besuchszeit hineindauerten. Alison oder Anita erschienen ganz sicher um 14 Uhr, aber sie konnten nicht länger als vierzig Minuten bleiben, da sie ihre Kinder von der Schule abholen mussten. Ich lernte schnell, für meine Besucher auf die Zeit zu achten, und sorgte dafür, dass sie rechtzeitig gingen, obwohl es mir natürlich lieber gewesen wäre, wenn sie noch etwas länger hätten bleiben können.
An manchen Tagen kamen die Besucher wie die Busse, drei oder vier gleichzeitig, und nur zwei wurden an mein Bett gelassen. An anderen Tagen war überhaupt niemand da, was einen einsamen Nachmittag verhieß. Alison entwarf einen Besuchsplan, den sie an meinen Spind heftete, sodass ich immer wusste, wohin ich musste und wer mich besuchen kam. Anfangs, als es mir noch sehr schlecht ging, war dies auf meine Freundinnen und meine Angehörigen beschränkt, doch als ich Fortschritte machte, füllten sich die Spalten für Montag bis Freitag mit den unterschiedlichsten Müttern aus Dore, die auf dem Parkplatz erschienen und dort um die wenigen freien Plätze kämpften.
Die Abende gehörten der Familie. Mark, dessen Eltern und meine Mutter verteilten sich über die Woche. Die Sonntagnachmittage waren für die Kinder und Mark reserviert. Im Laufe der Zeit bewegten sich die Kinder immer ungezwungener in meiner Nähe und setzten sich abwechselnd neben mich, um mir die Stirn mit einem Tuch und Gesichtswasser abzuwischen. Meine Vorfreude auf diese Momente der Intimität mit ihnen war groß.
Um sicherzustellen, dass mir aufgrund der beschränkten Besuchszeiten kein Klatsch und Tratsch entging, war Alison auf die Idee gekommen, Freundinnen und Freunde aus dem Dorf zu bitten, mir Briefe zu schreiben. Sie las mir die Post vor, was nicht nur neuen Gesprächsstoff mit sich brachte, sondern mir auch das Gefühl gab, immer noch Teil ihres bewegten Lebens zu sein.
Ganz oben auf der Liste meiner Lieblingsbriefschreiberinnen stand Anna, die Köchin des berühmten Fischragouts. Der gescheiten, stoischen
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