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So nah bei dir und doch so fern

So nah bei dir und doch so fern

Titel: So nah bei dir und doch so fern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Allatt
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wirklich bewegt? Es war schwer zu sagen, ob es sich um einen ungewollten Spasmus handelte oder ob sich mein positives Denken auswirkte. Marks Reaktion während meiner ersten Begutachtung hatte mich entschlossener denn je gemacht, irgendwann wieder gehen zu können. Die Nacht nach dieser Besprechung hatte ich damit verbracht, im Bett zu liegen, meinen Daumen anzustarren und ihm zu befehlen, er solle sich bewegen.
    Beweg dich endlich, du verdammtes Ding! Meine frustrierten Worte hallten in meinem Kopf wider. Es war die gleiche trotzige Stimme, die mich vorangetrieben hatte, mitten im Winter einen weiteren Kilometer durch Regen und Graupel in den Mooren oberhalb von Sheffield zu laufen, wenn ich aufgeben wollte. Es war die Stimme, die sagte: »Kate, du weißt, dass du es schaffst!«
    »Beweg dich!«, versuchte ich es erneut. Diesmal spürte ich eine Spannung in meinem Körper, doch für ein Zucken reichte es nicht. Wenn mich eine der Schwestern gesehen hätte, wäre sie vermutlich auf den Gedanken gekommen, ich sei ins Koma gefallen, und hätte mich zurück auf die Intensivstation geschickt. Zu diesem Zeitpunkt verfügte ich bereits wieder über ein minimales Maß an Bewegung in meinem rechten Daumen und Zeh, doch auf der linken Seite tat sich nichts. Sie war völlig abgestorben.
    Plötzlich bewegte sich der Daumen erneut. Ich war sicher, dass ich es mir nicht einbildete. In meiner Vorstellung war es, als habe ich triumphierend den Daumen gehoben, in Wirklichkeit aber war es nur eine winzige Bewegung und gewiss nicht einmal hinreichend genug, um die anderen Finger zu berühren oder einen Löffel zu halten.
    Ich versuchte es ein weiteres Mal, und siehe da, er bewegte sich zeitgleich mit dem Gedanken. Ich hatte Kontrolle über ihn. War es das Ergebnis der funktionellen Elektrostimulation der Physiotherapeuten oder hatte der Geist über den Körper gesiegt? Ich war mir nicht sicher; egal, ich war ermattet, aber zutiefst befriedigt.
    Als Alison mich am nächsten Tag besuchte, wartete ich, bis sie mitten in einer ihrer lustigen Geschichten angekommen war, und versuchte es wieder. Mitten im Satz hielt sie inne und fragte: »Kate, habe ich gerade gesehen, dass sich dein linker Daumen bewegt hat?«
    Ich blinzelte lässig, als wollte ich sagen: »Na, und wenn schon.«
    »Das ist ja toll! Sag mal, bewegst du ihn etwa ganz alleine?«, fragte sie, und in ihren Augen spiegelte sich mein eigener Stolz.
    Ich bewegte ihn.
    Ab diesem Moment wussten meine Betreuer und ich, dass mein Gehirn neue Verbindungen schuf und dass dort, wo sich vorher ein totes Ende befunden hatte, neue Bahnen in meinem Kopf wuchsen. Ich erinnerte mich an die hoffnungsvollen Worte meiner Mutter, die den irischen Arzt zitiert hatte, das Gehirn sei in der Lage, neue Verbindungen zu bilden. Jetzt glaubte ich wirklich, es bestünde Hoffnung für mich.
    Angesichts der kleinen, aber unübersehbaren Bewegung hätten meine Freundinnen und Verwandten am liebsten Freudensprünge und gewaltigen Wirbel gemacht, doch sie mussten ihre Begeisterung zügeln. Die Ärzte hatten eine derart düstere Prognose gestellt, dass sie jeden kleinen Fortschritt zunächst als Zufall betrachteten und kein Gewese darum machten, um meine Erwartungen nicht zu hoch zu schrauben.
    Meine Mutter und Alison warteten, bis sie die Abteilung verlassen hatten, erst dann klatschten sie sich heimlich ab, als wären sie Mitglieder irgendeiner dubiosen Sekte. Als ich später auf diese Zeit zurückblickte, fragte ich mich, ob die Angst der Ärzte und Therapeuten, falsche Hoffnungen zu schüren, nicht nur eine andere Form von negativer Einstellung war.
    »Man kann Kate nicht entmutigen«, sagte meine Mutter mein ganzes Leben lang. Sie kennt mich zu gut. Ich bin wie ein Hund mit einem Knochen, ich gebe nie auf. In meiner Welt sind Regeln dazu da, gebrochen zu werden; Grenzen existieren nur, um sie zu verschieben. Mark empfand diesen Charakterzug zuweilen als ziemlich lästig. Als wir unsere alte Küche in eine Wohnküche umbauten, gerieten wir oft über die kleinsten Dinge in Streit. Wir verfügten über ein Budget von 25 000 Pfund, und Mark war entschlossen, es keinesfalls zu überschreiten. Ich andererseits wollte das Beste. Weshalb bei so lächerlichen Dingen wie billigen Fünf-Pfund-Griffen knausern, wenn wir so viel ausgaben, um Qualität zu bekommen? Das war mein Argument. Raten Sie mal, wer sich durchsetzte.
    Mit dieser geringfügigen Bewegung als Ansporn setzte ich mir neue Ziele, denen meiner

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