So nicht, Europa!
Afghanistan zu begeben, sind bei den Kandidaten bislang vor allem zwei andere Motivationen
treibend, auf die niemand setzen sollte, der eine Vielzahl von Beamten anlocken will: Idealismus für die Sache und Frust in
der Heimat.
Von beiden berichtet der deutsche Bundespolizist Martin Heyne.Der Beamte war 35, als er sich 2005 entschied, für neun Monate als Aufbauhelfer nach Kabul zu gehen. Neben dem »starken inneren
Wunsch, sich einer herausfordernden Auslandsverwendung zu stellen«, sagt Heyne, habe er auch nach einer Erleichterung für
sein Privatleben gesucht. »Ich denke, dass Auslandsverwendungen oft eine Flucht vor einer Situation in der Heimat sind. Ich
selbst befand mich in einer Ehekrise. Nach dem ersten Heimaturlaub, aus der Distanz heraus, habe ich mich dann einvernehmlich
von meiner Frau getrennt. 2006 habe ich mich scheiden lassen. Andere Kollegen haben ähnliche Erfahrungen gemacht.«
Und Heyne machte noch eine Erfahrung, von der viele Afghanistanrückkehrer berichten. Er fing sich eine Darmerkrankung ein,
die langwierig tropenmedizinisch behandelt werden musste. Bis heute, sagt Heyne, leide er unter erheblichen Magen-Darm-Problemen.
»Ich denke, sie hängen mit psychischem Stress zusammen, der zumindest zum Teil wohl auch auf die Auslandsverwendung zurückgeht.«
In der Rückschau sei die Zeit in Kabul ein »knallharter Knochenjob« gewesen. Würde er ihn zu denselben Bedingungen noch einmal
machen? Ja, sagt der Beamte, der derzeit am Frankfurter Flughaften Dienst tut – »wenn die Gesundheit wieder stimmt«. Heyne
glaubt trotz aller zahlenmäßigen Erfolge der Amerikaner, dass die deutsche Methode beim Polizeiaufbau erfolgversprechender
sei. »Ohne die für uns typische Gründlichkeit und Nachhaltigkeit besteht kaum Aussicht auf ein Missionsende. Die endemische
Korruption in Afghanistan und die aus sozialem Verständnis heraus gewachsene Vetternwirtschaft machen jede auf kurze Sicht
geplante Maßnahme zu einem Debakel. Mein Motto für den Afghanistaneinsatz lautete immer: Entweder wir machen es richtig oder
gar nicht.«
Aber was ist das Richtige für ein Land, in dem es ganz akut darum geht, ob die neue Regierung die Oberhand behält oder islamistische
Milizen die Herrschaft zurück erringen? Ist es da wichtiger, Details des Polizei- und Ordnungsrechts zu lehren oder schnell
viele Männer in Uniform in die Städte und Provinzen zu bekommen? In Afghanistan tobt ein Bürgerkrieg, und die Polizeitruppe
ist dabei viel stärker Partei als die afghanische Armee. Gerade weil sie das alltägliche Gewaltmonopol des Staates symbolisiert,
steht die Polizei als Erste im Fadenkreuz jener Taliban und Warlords, die durch den Wandel ihre Macht und ihr Vermögen bedroht
sehen. Im Jahr 2009 kamen 646 afghanische Polizisten beiAnschlägen ums Leben, gegenüber 282 Soldaten, die in Gefechten getötet wurden. 89
Die amerikanische Regierung setzt deshalb, anders als Europa, vor allem auf Masse statt Klasse. Die U S-Armee bildet in Afghanistan Polizisten in 8-wöchigen Crashkursen aus. Vorrang habe nach ihrer Ansicht, machen die Verantwortlichen klar, ein rascher Aufwuchs der Truppe. Bevölkerung
und Taliban müsse das Signal vermittelt werden, dass es keinen Weg zurück gebe in die archaische Fundamentalistenherrschaft.
»Wir wissen, dass man die Polizei zu ordentlichen Gesetzeshütern erziehen muss«, sagt der amerikanische General Richard P. Formica. Der stämmige Offizier empfängt im Besprechungsraum des schwer bewachten U S-Hauptquartiers im Kabuler Regierungsviertel. Von hier aus koordiniert er denjenigen Polizeiaufbau, der unter amerikanischer Ägide stattfindet.
»Aber um ein Gesetzeshüter zu sein, muss man erst mal überleben. Und dabei helfen wir ihnen.« Natürlich fördere die U S-Armee auch eine Polizeiakademie, an der in dreijährigen Kursen Polizisten für höhere Ränge ausbildet würden, sagt Formica. »Bloß
kriegt man«, bekräftigt er mit durchaus donnernder Stimme, »keine Zehntausende Polizisten auf die Straße, wenn man sie alle
an die Uni schickt. Wir brauchen einfach erst mal eine Präsenztruppe da draußen.«
Doch die EU beharrt auf Bescheidenheit. Als Ziel gibt der Europäische Rat an, das EUPO L-Kontingent auf 400 Ausbilder aufzustocken. Deutschland geht zwar voran bei der Rekrutierung neuer Trainer, doch im Vergleich zu dem, was nötig
wäre, gleicht die Erhöhung der Mannschaftsstärke um 100 bis 200 Männer mehr dem
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