So nicht, Europa!
letztlich ihr eigenes Militärbündnis
sein will, bleibt einem politischen
mission creep
überlassen, einer schleichenden, nicht bewusst vollzogenen Entwicklung. Genau diese müsste freilich hart und ehrlich behandelt
werden. Will die EU bloß die besseren Blauhelme in der Welt stellen? Oder will sie alles können, was andere Ordnungsmächte
auch können?
Der Lissabon-Vertrag könnte sich als Katalysator für eine Antwort auf diese Frage erweisen. Denn mit ihm wird es erstmals
möglich, auf sicherheitspolitischem Terrain vom Mehrheitsprinzip im Europäischen Rat abzuweichen. Laut Artikel 46 des Vertrages
können sich Staaten nach Belieben zu einer »Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit« zusammenfinden. Sie dürfen, mit anderen
Worten, Mini-Bündnisse bilden, um bestimmte Ziele zu erreichen. Diese Neuerung könnte dazu führen, dass sich eine Staaten-Avantgarde
der harten Militärpolitik herausbildet. Einesolche EU-interne Variante der »Koalition der Willigen«, bestehend etwa aus interventionsfreudigen Franzosen, Briten und Osteuropäern,
könnte als Zugkraft für den Rest wirken – oder, auch das ist denkbar, eine neue Teilung hervorrufen. Europa könnte sich spalten
in einen muskulösen Teil für brisante militärische Aufgaben und in einen für zartfühlende Vor- und Nachsorge mit zivilem Charakter.
Es wäre eine vertraute Art von Arbeitsteilung. Europa praktizierte sie im vergangenen halben Jahrhundert mit Amerika. Im neuen
Jahrtausend könnte Europa sie selbst verinnerlichen.
Wie sehr Europa bislang darauf bedacht war, sich aus heißen Konflikten herauszuhalten, zeigt die Bilanz gegenüber der Haupt-Herausforderung,
vor der die Weltgemeinschaft seit dem Jahr 2001 steht. Die Rede ist von Afghanistan.
Koalition der Unwilligen: die EU am Hindukusch
Die Mission in Afghanistan ist ein Test dafür, ob wir
gemeinsam
Sicherheit für uns schaffen können. Europa, und das sage ich deutlich, sollte nicht erwarten, dass Amerika diese Bürde alleine
schultert!
Barack Obama beim Nato-Gipfel in Straßburg, 3. April 2009
Wenn man heute noch sagt, auch unsere Sicherheit werde am Hindukusch verteidigt, erntet man doch nur Lächeln.
Ruprecht Polenz, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, während des Brussels Forum 2009
»Die Amerikaner sind vom Mars, die Europäer von der Venus«, lautet die berühmt gewordene Dichotomie, mit der Robert Kagan
die unterschiedlichen Sicherheitsphilosophien zwischen der neuen Welt und dem alten Kontinent beschrieben hat. So scherenschnittartig
der Vergleich sein mag, er hat seine Berechtigung. Amerika befindet sich offiziell im »Krieg« gegen den Terrorismus. Der Kampf
gegen al-Qaida ist für die USA vor allem eine militärische und externe Herausforderung. Die Europäer hingegen betrachten den
Terrorismus vor allem als internes und daher kriminologisches Problem, dem mit Geheimdienst-, Polizei- und Sozialarbeit begegnet
werden müsse. Wenn es schon militärisch zugehen muss, mahnen sie, dann bitte behutsam, um den ohnehin aufgekratzten Anteil
der Muslime in Europa nicht noch mehr zu entfremden.
Entschlossener als Amerika trimmt Europa seine Soldaten deshalb aufs Hebammenhandwerk. Rechtsstaatsförderung, Entwicklungshilfe,
Polizeiausbildung und Ingenieursarbeit zählen von Afghanistan über den Tschad bis in den Kosovo zu den Hauptaufgaben der
Nation Builder
in Flecktarn. »Eigentlich«, findet ein ranghoher Mitarbeiter der E U-Außenbeauftragten Catherine Ashton, »sollten wir gar keine Verteidigungsminister mehr ernennen. Wir sollten lieber aus den Außen- und Entwicklungshilfeministern
Sicherheitsminister machen.« Alles andere sei doch ein Festhalten an der Machtpolitik vergangener Jahrhunderte.
So weit der Anspruch. Besichtigt man, welche Erfolge der europäische Ansatz in Afghanistan tatsächlich zeitigt, scheint es,
als diene Europas vermeintlich so ausgeklügelte Strategie der »ver netzten Sicherheit« als Tarnung für den mangelnden Willen, mit der Härte aufzutreten, die in einem Einsatzszenario wie Afghanistan
bisweilen einfach geboten ist.
Wie auch immer Politiker daheim es umschreiben; das Ziel des westlichen Engagements in Afghanistan ist es, eine neue Gesellschaft(sordnung)
aufzubauen. Ein solches Vorhaben wäre schon in einem Land ehrgeizig, das über eine nationale Identität, eine funktionierende
Zentralregierung und über eine Perspektive auf Wohlstand verfügt. Afghanistan
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