So nicht, Europa!
berühmten Tropfen auf dem heißen Stein. Sie reicht jedenfalls nicht aus, um in Washington den Eindruck zu
zerstreuen, die Europäer überließen den harten Teil des Wiederaufbaus am Hindukusch, wie schon zu Bush-Zeiten, den Amerikanern.
Trotz des Sympathiebonus, den Barack Obama nach seiner Wahl mitbrachte, zweifeln Amerikas Außenpolitiker daran, ob Europa
in Afghanistan wirklich Frieden will oder ob es nicht viel eher mit Afghanistan in Frieden gelassen werden möchte. Dass Europa
sehr wohl in der Lage ist, kurzfristig eine Menge Polizisten zu mobilisieren, zeigte sich nach dem Erdbeben Anfang 2010 auf
Haiti. Binnen weniger Wochen stellte ein E U-Krisenstab in Brüssel eine knapp 350 Mann starke Polizeitruppe, vor allem aus französischen Gendarmen und italienischen Carabinieri zusammen, um die hilfsbedürftigenObdachlosen auf der Karibikinsel vor Kriminellen zu schützen. Auf die Frage, ob es ein Fehler gewesen sei, die Deutschen mit
der Ausbildung der Polizei zu betrauen, zürnte Richard Holbrook, der amerikanische Sonderbeauftragte für Afghanistan und Pakistan
Ende 2009 in einem Interview: »Das haben die doch nie gemacht. Die Aufgabe wurde zwar den Deutschen übertragen, aber die eigentliche
Ausbildung übernahmen Amerikaner. Das war ein lumpiger Bürokratenkompromiss.« 90
Der scheidende U S-Nato -Botschafter Kurt Volker stellte, kurz bevor er Brüssel Mitte 2009 verließ, die entscheidende Frage: »Fühlt sich Europa der
Aufgabe [in Afghanistan] wirklich so verpflichte, wie die Vereinigten Staaten es tun?« Die einfache Antwort lautet nein. Der
Afghanistan-Einsatz lässt sich heute nicht mehr so begründen wie unmittelbar nach dem 11. September, als Bundeskanzler Gerhard Schröder den Vereinigten Staaten noch »uneingeschränkte Solidarität« versicherte. Der
eigentliche Afghanistankrieg hat in den ersten Monaten nach den Terrorattacken auf New York und Washington sein Ziel erreicht.
Al-Qaida wurde in seiner einstmals quasi-militärischen Form zerschlagen und aus Afghanistan vertrieben.
Doch die Terrorgruppe hat sich nicht aufgelöst, sondern umgewandelt. Aus Kadern wurden freischaffende Dschihadisten, aus konkreten
Befehlen eine abstrakte Idee. Bin Ladens Truppe hat sich globalisiert und funktioniert nach dem Prinzip eines Franchise-Unternehmens.
Jeder, der sich der Firmenphilosophie unterwirft, kann mitmachen und den Konzern stärken. Ein algerischer Islamist in Frankreich
kann sich heute ebenso dem »al-Qaidais mus « verschreiben wie ein pakistanischer Frömmler in Bradford oder ein deutscher Konvertit in Düsseldorf. Deshalb braucht es
heute keine afghanischen Ausbildungslager mehr, um Anhänger zu rekrutieren und Attentate zu planen. Dies ist mittlerweile
im Sauerland genauso möglich wie in London, Madrid oder im Falle der »Kofferbomber«, in Kiel. Die ideologische Anleitung kommt
aus dem Internet, das Bombenmaterial aus dem Baumarkt. Jene
home grown terrorists
, also in Europa aufgewachsene Muslime, die sich radikalisierten und Anschläge auf U-Bahnen , Pendlerzüge und Kasernen planten oder verübten, rechtfertigten ihre Taten heute auch mit einem »Vernichtungsfeldzug«, den
aus ihrer Sicht der Westen in Afghanistan gegen ihre Glaubensbrüder führe. Jede neue Auslandsmission, sei es im Libanon, sei
es im Tschad, bestätigtsie in ihrem Wahn von einem Weltbürgerkrieg des Westens gegen die Muslime. Europa wird also nicht attackiert, obwohl, sondern
weil es Islamisten am Hindukusch bekämpft. Der Westen droht in Afghanistan zu scheitern. Die EU überlässt die Kriegsgeschäfte
deshalb allzu gerne dem Nato-Quartier am Brüsseler Stadtrand. Sollen die doch das Dilemma der Terrorbekämpfung lösen. Warum
sollte am Ende das Markenzeichen des blauen Sternenbanners darunter zu leiden haben, wenn Afghanistan zurück in die Hände
der Extremisten fällt?
Die Mittelmeerunion: der eingeschlafene Fuß Europas
Der Grand Palais in Paris ist eine gigantische Halle der Ambitionen. Das Wunderwerk aus Stahl und Glas, dessen Kuppeldächer
sich zum Himmel aufbäumen, wurde zur Weltausstellung 1900 errichtet. Deren Gelände erstreckte sich damals über die Boulevards
zu beiden Seiten der Seine bis zum Eiffelturm und den Champs des Mars. Es war ein Jahrhundertereignis für Millionen Besucher.
»Vierzig Länder beteiligten sich an der Weltausstellung«, notiert der niederländische Schriftsteller Geert Mak in seinem erinnerungsreichen
Europareisebuch,
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