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So nicht, Europa!

Titel: So nicht, Europa! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Bittner
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»Kalifornien hatte ein begehbares Modell einer Goldmine graben lassen, Ägypten kam mit einem Tempel und einer
     antiken Grabkammer, das Vereinigte Königreich präsentierte sich mit all seinen Kolonien, Deutschland zeigte eine Dampflokomotive,
     die 120   Stundenkilometer fahren konnte, Frankreich stellte ein Motorflugzeug von Clément Ader aus, eine riesige Fledermaus mit fünfzehn
     Metern Spannweite, denn irgendwann würde der Mensch sich in die Lüfte erheben können.« 91
    Ein Jahrhundert später, am 13.   Juli 2008, flogen Staatsgäste aus über 40   Ländern nach Paris ein. Nicolas Sarkozy hatte sie in die monumentale Kulisse des Grand Palais eingeladen. Hier sollte sie
     stattfinden, die Gründungsfeier einer neuen Allianz zwischen den 27   E U-Mitgliedern und 17   Mittelmeeranrainern. »Mittelmeer union « wurde das neue Peripherieprojekt getauft. Von Algerien bis zur Türkei sollte sie reichen, Israel genauso einschließen wie
     die Palästinensergebiete und Syrien und mit europäischer Hilfe einen neuen Bogen der Kooperation bilden, über alle politischen
     Gräben hinweg, zum Nutzen des weiteren Erdkreises. Entsprechend pompös ging es zu an diesem strahlend sonnigen Sommertag.
     Paris hatte sich herausgeputzt zum Nationalfeiertag, der einen Tag später stattfand, und Sarkozy ließ es sich nicht nehmen,
     die 43   Staatschefs einzuladen, mit ihm zusammen das Militärdéfilé auf den Champs Élysée abzunehmen, mit dem sich Frankreich alljährlich
     als Mutterland der Menschenrechte feiert. Mit ausgestreckten Armen empfing der Franzose Israels Ministerpräsident Ehud Olmert
     ebenso wie den Palästinenserpräsident Mahmud Abbas und den syrischen Herrscher Baschir al-Assad. »Wie kann man Frieden herstellen,
     wenn man nicht mit Leuten redet, die andere Auffassungen haben?«, rechtfertigte Sarkozy die roten Teppiche auch für den einen
     oder anderen Autokraten aus dem Süden. Schonwenige Stunden nach Beginn des Pariser Treffens konnte Sarkozy verkünden, Syrien und der Libanon wollten wieder Botschafter
     austauschen. Zugreifende Hände, lächelnde Antagonisten, das war das Bild des großen Mittelmeergipfels.
    Mit der Mittelmeerunion wollte die Europäische Union ihre ganze politische Artenvielfalt zur Schau stellen. Mit Kläranlagenbau
     in Nordafrika bis hin zu neuen Friedensgesprächen im Nahen Osten sollte der Pakt helfen, Wohlstand und damit Sicherheit für
     alle Seiten zu fördern. Blühende Landschaften malten sich die Planer aus. Entlang der Levante und des Maghreb sollten Häfen
     ausgebaut und der Freihandel beschleunigt werden. Die EU bot an, die Verschmutzung des Mittelmeeres einzudämmen, die Sahara
     als Solarstromquelle zu erschließen und den Akademikeraustausch zu beflügeln. Die Sache hatte einen Reiz, der der Kraft des
     Staatenblocks ausnahmsweise einmal gerecht zu werden schien: Eine prinzipiell einige und starke Weltregion reichte einer prinzipiell
     uneinigen und schwachen Nachbarregion die Hand zum Teamplay.
    Alles, was die Mittelmeerunion beinhaltete, waren richtige, ja angesichts katastrophaler Wirtschaftsdaten und eines enormen
youth bulge
in den Maghreb-Staaten geradezu zwingende Anstöße. Etwa zwei Drittel der nordafrikanischen Bevölkerung sind unter 30   Jahren alt, ein Viertel von ihnen hat nach Schätzungen der Weltbank keine Aussicht auf einen Arbeitsplatz. Unabhängige, mittelständische
     Unternehmer sind in den Ländern südlich des Mittelmeeres noch keine ernst zu nehmende wirtschaftliche und politische Größe.
     Wohlstandsförderung ist dort nicht nur ein gesellschaftliches Gebot, sondern auch eines der internationalen Sicherheit, weil
     sie das wirksamste Mittel gegen religiöse und politische Radikalisierung darstellt. E U-Entwicklungsprogramme wären keine Geschenke für Diktatoren, sondern vielmehr ein Ansatz zu gesellschaftlichen Reformen, von denen auch der Norden
     profitieren würde. Fairere und chancenreichere Staatswesen im Süden wären schließlich der beste Weg, den Migrationsdruck auf
     die EU zu mindern. Die Mittelmeerunion hätte die beeindruckende Zweckgemeinschaft rund ums Mare Nostrum seit dem Römischen
     Imperium werden können; eine Friedenskooperative für den Nahen Osten, gekoppelt an milliardenschwere Entwicklungsprogramme
     für die arabische Nachbarschaft.
    Ein erstes Partnerschaftsprogramm für das Mittelmeer, der »Barcelona-Prozess«, von der EU 1995 angestoßen, hatte sich ausverschiedenen Gründen als Flop erwiesen. Die

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