So nicht, Europa!
Budgets waren schmal, die Verankerung in Brüssel mangelhaft, und es stellte sich
heraus, dass sich die arabischen Regierungen nicht von Europas Entwicklungsplanern bevormunden und schon gar nicht schleichend
demokratisieren lassen wollten. Die großspurig gestartete Mittelmeerpolitik endete damals als eingeschlafener Fuß Europas.
Zur Zehn-Jahresfeier des Barcelona-Prozesses erschien 2006 kein einziger Regierungschef aus den Mittelmeeranrainern. Zwar
bekannten sich auch in der Pariser Gipfelerklärung von 2008 die 43 Staatschefs zur Stärkung des »politischen Pluralismus« und der Menschenrechte. Doch der Weg sollte diesmal nicht schulmeisterliche
Einmischung aus Brüssel sein, sondern wirtschaftliche Einbindung. Europa, schien es, hatte gelernt aus den Fehlern des »Barcelona-Prozesses«.
Mit der Mittelmeerunion setzte es seine Hoffnungen auf die ordnende Hand des Marktes. Vor allem die Ägypter, so glaubte man
in Brüssel, würden die historische Chance erkennen, die ihnen der Bund mit dem Norden bot.
Tatsächlich sah am Anfang auch alles nach einem erfolgreichen Großprojekt der EU aus. Auf einem Podium in Brüssel geriet Seenot
Haleem Dous, Mitglied des Auswärtigen Ausschusses der ägyptischen Schura, ins Schwärmen: Den Kampf gegen Terror voranbringen,
Energieprobleme lösen, den Respekt vor Menschenrechten fördern, neue Wirtschaftsprojekte in der Wüste anstoßen, gemeinsame
Fischereiforschung betreiben, die Auswanderung regulieren, Landminen beseitigen, Studenten austauschen, die Umwelt schützen,
vielleicht sogar eine Freihandelszone schaffen, all das, und noch viel mehr, ja, selbstverständlich unterstütze das seine
Regierung. »In Ägypten«, versicherte Dous, »wäre das südliche Sekretariat für die Mittelmeerunion am besten angesiedelt.«
Doch nicht alle Nordafrikaner zeigten von Beginn solchen an Enthusiasmus. »Das Problem ist«, gab schon im Sommer 2008 ein
libyscher Diplomat in Brüssel zu bedenken, »dass die Führer in unseren Ländern auf die Stimmung in der Bevölkerung hören müssen.
Wir können uns nicht einfach so auf eine Seite schlagen.« Auf die europäisch-proisraelische, meinte er damit. Erst, so der
Mann, müsse eine Lösung der Palästinenserfrage her. Danach könne man über alles andere reden. Prophetische Worte, wie sich
herausstellte. Denn genau aus diesen Gründen sollte die Freude der Gründer am neuen »Club Med« nicht lange anhalten.
Am 27. Dezember 2008 begann die israelische Armee mit einer Welle von Luftangriffen auf den Gazastreifen. Mit der Großoffensive »Gegossenes
Blei« wollte sie ein für allemal die raketenschießende Hamas zerschlagen. Bomben zerstörten Wohnviertel und Krankenhäuser,
in den Straßen tobten Schlachten, auf beiden Seiten floss so viel Blut wie lange nicht mehr. Nach israelischen Angaben starben
mehr als tausend Palästinenser. Zu den politischen Kollateralschäden dieser Eskalation gehörte die Mittelmeerunion. Seit der
Gazakrieg begann, herrschte »Sprachlosigkeit« zwischen den Beteiligten. Die Araber wollten die Israelis nicht mehr mit am
Tisch haben. Genau dies war für die Europäer aber eine unabdingbare Voraussetzung für weitere Gespräche gewesen. Ein Jahr
nach der Gründung der Mittelmeerunion zog ein E U-Diplomat eine bittere Bilanz: »Es ist nichts passiert. Gar nichts. Das vergangene Jahr war für die Katz.«
Dieses Ausgang war allerdings nicht allein dem Gazakonflikt geschuldet. Nach der schillernden Gründungsfeier in Paris galt
das Projekt in Brüssels Politikarena gleichsam als abgehakt. Das öffentliche Interesse versackte ebenso plötzlich wie die
politische Treibstoffzufuhr. Vor allem der ambitionierte Initiator Nicolas Sarkozy hatte mit einem Mal ganz andere Herausforderungen
zu bewältigen: Den Georgienkrieg, den Gasstreit mit Russland und der Ukraine, die Wirtschaftskrise. Der einstige Treiber der
Mittelmeerunion machte seinem Ruf als unsteter, verspielter Geist alle Ehre. »›Gestalten‹ ist neben ›lieben‹ eines der schönsten
Worte überhaupt«, schreibt Sarkozy in seinem Buch ›Bekenntnisse‹. »Schon immer brach ich leidenschaftlich gern mit alten Gewohnheiten,
um das Unmögliche möglich zu machen (…) und das auszuüben, was wir gemeinhin Macht nennen.« Offenkundig ist dieser Machtmensch
aber auch einer, der schnelle Schnitte mehr liebt als den Dauerlauf.
Im stillen Betrieb der Brüsseler Institutionen tat sich ebenfalls nichts
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