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So nicht, Europa!

Titel: So nicht, Europa! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Bittner
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wichtigste Ziel der Gruppe lautete, den Lissabon-Vertrag zu verhindern. Die
     E U-Apo , die sich ab dem Frühjahr 2009 aus dem Stand gruppierte, war bemerkenswerterweise die erste wirklich paneuropäische Partei,
     die jemals in Brüssel antrat. Kurz vor den Europawahlen hatte sie Ableger in Frankreich, Großbritannien, Spanien, Dänemark,
     Schweden, Polen, Ungarn, Tschechien und einer ganzen Reihe kleinerer Länder gegründet. Ihre Anhänger machten sich Hoffnungen
     auf ein zweistelliges Wahlergebnis bei der Parlamentsbestellung. Wenn das passiere, so ihre Hoffnung, könnten die Eurokraten
     die Opposition der Bürger nicht mehr ignorieren.
    Die »Neuropäer« waren schnell Gesprächsstoff in der E U-Bas tion . Selbst manch ein Kommissionsbeamter gab hinter vorgehaltener Hand zu, es sei an der Zeit für mehr gesunden Widerspruch gegen
     die stumme, aber stetige Gewalt der europäischen Integration. Keine Frage, Declan Ganley hatte einen Nerv getroffen. Er wollte
     all jenen, die sich am scheinbar unabänderlichen Machtzuwachs der EU störten, all jenen, die das ungute Gefühl hatten, die
     EU gleiche einem Zug, der schneller fahre als seine Passagiere, eine ideologisch unverseuchte Wahlalternative zu den links-
     und rechtsextremen Europahassern bieten. Der Aufstieg der bürgerlichen E U-Rebellen begann in seiner Heimat, in Irland. Declan Ganley hatte es dort in beachtlicher Geschwindigkeit geschafft, zum Albtraum für
     die Dubliner Regierung zu werden.
     
    Ganleys Anwesen in der Grafschaft Galway liegt so abgeschieden, dass ein Mitarbeiter zu einem kleinen Provinzbahnhof kommen
     muss, um Besucher abzuholen, dann geht es noch einmal eine gute halbe Stunde über Land- und Feldstraßen. Hinter einer gewundenen,
     baumgesäumten Allee öffnet sich schließlich die Zufahrt zu Ganleys Haus. Es ist ein ehemaliges Priesterseminar, das der neue
     Besitzer zu einem repräsentativen Landsitz ausgebaut hat. Eine Fontäne schießt aus einem künstlichen See, und der Schotter
     knirscht, als Ganley spät am Abend mit seinem schweren Mercedes die Auffahrt heraufkommt.
    Er kommt gerade aus einem Hotel im nahe gelegenen Dörfchen Tuam. Er hat blaue Autoaufkleber, Baseballmützen und Tassen mit
     der Forderung »Vote no to Lisbon!« darauf verteilt, und er hatder Landbevölkerung ein bisschen Angst gemacht vor den Eurokraten, denen es darum ginge, auch noch die Steuergesetzgebung
     in die Hand zu bekommen, was ein Wahnsinn sei, weil sich damit endgültig die Demokratie aus Europa verabschiede, und davon
     abgesehen könne er, der Geschäftsmann, eines nun wirklich aus tiefster Seele versichern: »Der Lissabon-Vertrag ist schlecht
     fürs irische Business.« Die Leute haben geklatscht, sie haben ihm am Ausgang am Ärmel seines Maßanzugs festgehalten, weil
     sie ihm die Hand schütteln und für seinen Mut gratulieren wollten, sie haben ihn gefragt, warum er sich das alles antue, und
     ihm alles Gute gewünscht, und jetzt ist er ein wenig erschöpft. Er braucht noch einmal dieses Lied. Ganley geht ins Wohnzimmer,
     wirft sein Jackett auf die Couch, steckt die CD in die Anlage und dreht die Lautstärke bis zur Schmerzgrenze auf.
    Hast du jemals innegehalten und dich gefragt,
    Jetzt, da du wohlhabend und frei bist,
    Wer dafür gekämpft hat und gestorben ist,
    Um dir und mir dieses bessere Leben zu geben?
    »Hören Sie genau zu!«, ruft Ganley durch den Sturm aus Violinen und Trommelwirbeln. Der Sänger ist die irische Folklegende
     Liam Tiernan. Er hat das Stück für Ganley komponiert, nachdem er Weihnachten hier draußen bei ihm in Tuam verbracht hat. Der
     Hausherr dreht noch einmal am Lautstärkeregler, lacht hell auf und tänzelt hinüber in die Küche. Ein Rebelsong der allerneuesten
     irischen Sorte ist bei den Diskussionen unter dem Tannenbaum herausgekommen. Die prominente Whiskeystimme aus Belfast schmettert
     nicht mehr gegen Britannien an. Sondern gegen Brüssel.
    Durch Hungersnot, Krieg und Ausbeutung,
    Haben wir so hart gefochten, um frei zu sein.
    Sagt Nein zum Vertrag von Lissabon!
    Lasst uns echte Demokratie haben!
    Die Iren, so wollte es das juristische Schicksal, waren das einzige Volk Europas, das per Referendum über den Lissabon-Vertrag
     abzustimmen hatte. Die irische Verfassung, nach langem Unabhängigkeitskampf geschrieben mit gehörigem Sinn für die Freuden
     der Souveränität, sieht für Fälle von Kompetenzübertragungen anaußerstaatliche Stellen diese Schwelle vor. Damit gerieten die Iren zugleich

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