So nicht, Europa!
mehr, was das Projekt befördert hätte. Von Anfang
an hatte sich niemand darum gekümmert, die Mittelmeerunion mit funktionierenden Organen zu versorgen. Sie blieb eine Papiergeburt.
Weder war bis zum Sommer 2009 ein Generalsekretär ernannt worden noch ein Statut geschrieben oder ein Mitarbeiterstab rekrutiert.
Von den 16 Milliarden Euro, die im E U-Haushalt bis 2013 für die Mittelmeerunion bereitstehen, wurde nicht ein Cent beantragt. Es gab kein einziges Projekt, das zu finanzieren
gewesenwäre. »Wir haben in Paris einfach behauptet: Das Ding ist jetzt da«, sagt einer, der mit den Abläufen vertraut ist. »Im Grunde
genommen haben wir das Schiff vom Stapel gelassen, bevor das Deck geplankt war.« Die südlichen Mittelmeeranrainer, berichten
Insider, fühlen sich wieder einmal nicht genug eingebunden in die Entscheidungen der E U-Player , und die Europäer warten vergeblich auf ausreichende operative Einigkeit zwischen Arabern und Israelis. Alles in allem scheint
es, als würde die Mittelmeerunion dasselbe Schicksal erleiden wie ihr Vorgängerprojekt, der unglückliche Barcelona-Prozess.
War also der ganze Rahmen zu groß gespannt? War es naiv von Brüssel, die zerstrittenen Lager des Nahen Osten und des Maghreb
unter den Heilsversprechen des Wirtschaftswachstums zu Partnern zusammenschweißen zu wollen? Das nicht. Das Problem war lediglich,
dass dem fulminanten Startschuss keine nennenswerten Taten folgten. »Vielleicht war unsere Politikvorstellung ein bisschen
altmodisch«, überlegt ein selbstkritischer E U-Mitarbeiter . »Nach dem Motto: Wir führen an der Spitze, und die Truppen folgen.« Eine Villa in Barcelona wartet bis heute darauf, als
Hauptquartier der Mittelmeerunion bezogen zu werden. Im »Palast von Pedralbes«, auf so viel konnten sich die Staatschefs immerhin
einigen, soll eines Tages das EU-seitige Sekretariat der Union einziehen. Das prachtvolle Palais, erbaut im Stil des 18. Jahrhunderts, bietet einen ausladenden Garten, mehrere für Zeremonien geeignete Pavillons sowie eine Nettoarbeitsfläche von
2703 Quadratmetern, zudem, wie auf der Homepage zu lesen, »ideale und effiziente Arbeitsplätze mit natürlichem Licht«.
[ Menü ]
Der dritte Fehler: Oben zu schnell und unten zu langsam
1. Oben zu schnell
Nein, nein und noch mal ja: Von ein paar Iren lässt sich die EU doch nicht aufhalten
Es wird kein zweites Referendum geben.
Dick Roche, irischer Europaminister, vor dem ersten Referendum über den Lissabon-Vertrag
Ihr werdet uns nicht stoppen. Wir werden weiter voran gehen. Es gibt immer Wege. Das ist die Geschichte der EU.
Íñigo Méndez de Vigo, spanischer Europaabgeordneter, nach dem Nein der Iren
Das Hauptquartier der Freiheitskämpfer liegt inmitten feindlicher Gemäuer. Gegenüber dem Bürogebäude, in dem sie sich eingemietet
haben, hat der Europäische Personalauswahl-Dienst seinen Sitz, und durch die Häuserlücken schimmert die Glasfassade der E U-Kommission .
» Libertas
? Nein, das sind wir nicht!«, stellt die Dame an der Gegensprechanlage klar. »Fahren Sie hoch in den siebten Stock.« Ein Klingelschild
fehlt der neuen Partei kurz nach ihrem Einzug in Brüssel noch. Wie überhaupt vieles etwas provisorisch wirkte an der Bewegung,
die sich laut Eigenwerbung vorgenommen hatte, »die politische Landschaft des Kontinents zu verändern«.
Oben, in einer loftartigen Etage, soll der Anführer der Rebellen schalten und walten, ein Mann, dem seine Anhänger magische
Kräfte nachsagen. »Unglaublich energetisch«, beschreibt ihn einer seiner Mitstreiter. Ein anderer schwört, er habe jahrelang
in der Industrie gearbeitet, aber »keinen vergleichbaren Menschen kennen gelernt«. Die Rede ist von Declan Ganley, geboren
1968, einem millionenschweren Telekommunikationsunternehmer aus Irland. Ein bürgerlicher Heiland ist der Selfmademan aus kleinen
Verhältnissen für die einen, ein populistischer Rattenfänger für die anderen. Ganleys Plan jedenfalls war ein ehrgeiziger.
Er wollte das Brüsseler Establishment das Fürchten lehren, indem er ganz Europa gegen die EU mobilisierte; mit »Libertas«,
einer, wie er es sah, wahrhaft pro-europäischen Partei. Denn Europa, glauben Ganley und seine Verbündeten, habe mit der EU
nicht mehr vielzu tun. Die Union sei zu einer antidemokratischen, gesichtslosen und entrückten Gesetzesmaschine degeneriert. Libertas wollte
auf die Bremse treten, bevor es zu spät war. Das
Weitere Kostenlose Bücher