Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

So nicht, Europa!

Titel: So nicht, Europa! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Bittner
Vom Netzwerk:
an. Das Referendum war schlicht kein Thema in offiziellen Runden. Ein
     Grund dafür war die Angst, dass sich eine Diskussion über einen »Plan B« entspinnen könnte. Dass es womöglich eine Welt ohne
     Lissabon-Vertrag geben könnte, wollte man den Iren natürlich nicht auf die Nase binden. Im Gegenteil, bekräftigten verschiedene
     Staatschefs und Kommissionspräsident Barroso, es gebe nur diese eine Gelegenheit, für den Vertrag zu stimmen, die Zukunft
     Europas kenne keine Alternative. Doch den Iren derart ins Gewissen zu reden, zeitigte nicht die gewünschten Effekte.
    Am Freitag, den 13.   Juni, waren die Stimmen ausgezählt. 53,4   Prozent der Wähler hatten gegen den Vertrag gestimmt. »Lissabon ist tot«, vermeldeten in Dublin Declan Ganley und seine Anhänger.
    Sofort lösten Pressemitteilungen aus dem E U-Parlament in BrüsselBrandgeruch aus. Europa stecke in einer »existenzbedrohenden Krise«, versuchten vereinzelte Abgeordnete die Öffentlichkeit
     zu überzeugen, ja, in einer »politischen Krise mit Folgewirkungen, die im Moment niemand voraussagen kann«. Der so beschworene
     Ausnahmezustand schien aber nicht richtig in Gang kommen zu wollen. Die E U-Maschinerie surrte nach dem Nein der Iren unbeeindruckt weiter auf Routinedrehzahl. In der allmittäglichen Pressekonferenz im Berlaymont-Gebäude
     sprach der Vizepräsident der E U-Kommission über die Entwicklung der europäischen Asylpolitik. Der Hohe Außenbeauftragte Javier Solana weilte im Iran, um einen Vorschlag
     zur zivilen Zusammenarbeit in Nuklearfragen zu überbringen. Und der Europäische Rat drückte tiefe Sorge aus. Über? Die sich
     verschlechternde Sicherheitslage im Sudan.
    Es waren diesmal eben nur 862.415   Iren, die Nein zum E U-Ver trag gesagt haben. Anders als 2005, als Franzosen und Niederländer dem damals noch »Verfassung« genannten Reformwerk eine Abfuhr
     erteilten, führte der Ausrutscher der Insulaner nicht zum gefühlten Totalschaden Europas. Er galt eher als Panne, die sich
     ausbügeln ließe. Vor allem in Deutschland und Frankreich wurde das irische Nein als lästiger Fehltritt eingestuft, der korrigiert
     werden müsse. »Streng genommen muss man ja nur vier Prozent umstimmen«, sagte ein erfahrener deutscher E U-Politiker .
    Bis die Iren sich daneben benahmen, gab es den klaren juristischen Zustimmungsvorbehalt im Lissabon-Vertrag. Danach gab es
     die politische Wirklichkeit. Genau eine Woche nach dem irischen Nein trafen sich die E U-Staatschefs zu einem Gipfel in Brüssel. Beim Abendessen erklärte der irische Premierminister Brian Cowen 26   Kollegen, was bei ihm daheim schiefgelaufen sei. Nach ihren Beratungen präsentierten die E U-Chefs der Öffentlichkeit den Plan B, den es nie geben sollte.
    Die irische Regierung, so lautete er, solle in sich gehen und überlegen, warum ihr Volk so versagt hatte. Die – damals noch
     unausgesprochene, aber diesem Vorgehen zugrunde liegende – Hoffnung lautete, dass sich das Rebellenvolk schon wieder einfangen
     lassen würde. Jeder, so war hinter vorgehaltener Hand auf den Fluren des Brüsseler Ratsgebäudes zu hören, dürfe sich schließlich
     mal einen Fehltritt erlauben, Hauptsache, er komme irgendwann wieder zur Vernunft. Am Ende einigten sich die Staatschefs,
     den Brüsselmuffeln in Irland durch die europäisierende Kraft des Faktischen Disziplin beizubringen. Alle anderen 26   Staaten sollten den Vertragungerührt weiter ratifizieren. Im Angesichte dieser Phalanx, so das Kalkül, könnten die Iren am Ende unmöglich bei ihrem Nein
     bleiben. »Wir haben uns darauf geeinigt, dass die Betroffenen, die Iren, selbst noch einmal nachdenken sollen«, fasste der
     deutsche E U-Botschafter Edmund Duckwitz die Strategie nach dem Nein zusammen. Wer aber waren (und sind) bei nüchterner Betrachtung die Betroffenen
     der irischen Verweigerung? Die Iren? Oder nicht doch eher die Kapitäne Europas? Anders gefragt: Müssen wirklich nur die Wähler
     darüber nachdenken, ob sie etwa falsch gemacht haben? Muss nicht zumindest
auch
das institutionalisierte Europa nachdenken, was
es
falsch gemacht hat?
    Aus Sicht der meisten E U-Regierungen kann man offenbar kein guter Europäer sein, ohne zugleich vom Lissabon-Vertrag überzeugt zu sein. Die Möglichkeit, dass die
     Bürger in der EU zwar ein gemeinsames Europa wollen, aber eben nicht
dieses
Lissabon-Europa, dieser Gedanken drang einfach nicht vor in die Köpfe der Verantwortlichen.
     
    Die Iren waren, entgegen

Weitere Kostenlose Bücher