So nicht, Europa!
nicht mehr Macht geben, ohne zugleich
die Rechte der Mieter zu beschneiden.
Willkommen im Reich der »Komitologie«
… damit die Regierung des Volkes, vom Volke und für das Volke nicht von der Erde verschwinden möge.
Abraham Lincoln
Die Techniker werden die Politiker überleben.
André Maurois
Die Integration, welche die Kommission betreibt, folgt den Gesetzen der Gravitation. Je größer die Masse der harmonisierten
Regeln, desto stärker zieht sie weitere Harmonisierung nach sich. Die Gesetzgebung im Rat, die diesen Sog bremsen könnte,
gehorcht indes zu sehr den Gesetzen der Diplomatie. Brüsseler Verhandlungen dienen schließlich der Einigung, nicht der Entzweiung.
Das führt dazu, dass in der EU wichtige Gebote der Politik untererfüllt bleiben. Verantwortlichkeit. Öffentlichkeit. Angemessenheit.
Ein Beispiel dafür wird bald in jeder Schreibtischlampe stecken.
Die Idee kam aus Australien. »Es ist eine kleine Sache, aber zugleich ein massiver Wandel«, sagte Umweltminister Malcolm Turnbull
am 20. Februar 2007 in Canberra. Bis zum Jahr 2010, verkündete der liberale Politiker, werde die Regierung Down Under ein Glühbirnenverbot
verordnen. Es dauerte nicht lange, bis die Nachricht nach Europa schwappte. Dort kam der australische Vorstoß bei den einen
als überzogene Gängelung an, als eine politische P R-Aktion ohne tieferen Umweltsinn. Für die anderen stand fest: Dieses Australien zeigt den Weg in die Zukunft. Europa, die globale
Ökologievorreiterin, könne da nicht nachstehen. Letzteres Lager setzte sich durch.
Seit dem 1. September 2009 dimmt Brüssel den Kontinent. 10 0-Watt -Glühbirnen und alle matten Glühlampen hatten als Erste aus den Verkaufsregalen zu verschwinden. Nach und nach folgen alle
schwächeren Kolben. Ab September 2012 wird es innerhalb der Europäischen Union überhaupt keine herkömmlichen Edison-Glühlampen
mehr zu kaufen geben. Es ist nur ein kleiner Schritt gegen die Erwärmung des Planeten, sagen selbst Klimaschützer. Zwischen
0,5 und 3 Prozent CO 2 -Einsparung soll der Verzicht auf die altmodische Birne bringen. Aber zur Rettung des Planeten, argumentieren sie, müssten
auch kleine Schritte erlaubt sein.
Die meisten Europäer allerdings fühlten sich im Herbst 2009 völlig überrumpelt von dem plötzlichen Aus für die Glühbirne.
»Ich lasse mir von niemandem vorschreiben, wie und womit ich meine Wohnung beleuchte!«, erregte sich ein Verbraucher aus Süddeutschland.
Weswegen er sich schleunigst einen Glühbirnenvorrat »für die nächsten zehn Jahre« anlegte. Kein Einzelfall, der Mann. Aus
lauter Angst, was da komme, legten sich auf einmal viele Europäer regelrechte Birnenlager im Keller an.
Dieses und andere Akzeptanzprobleme hätten vielleicht vermieden werden können, wenn Politik und Öffentlichkeit über das Glühlampenverbot
in angebrachter Weise gestritten hätten. Es stimmt ja, die Edison-Birne besitzt nach den Maßstäben des 21. Jahrhunderts einen beschämend niedrigen Effizienzgrad. Nur 5 Prozent des Stroms werden in Licht umgewandelt, der Rest in Hitze. Andererseits empfinden viele Menschen das Licht der Energiesparlampe
als so unangenehm wie eine kalte Dusche. Zudem steht es im Verdacht, ungesund zu sein. Der hohe Anteil von unruhigem Blaulicht,
sagen Mediziner, sei schlecht für Schlaf und Psyche. Biorhythmisch sei der Mensch am Abend die thermische, gleichwellige Strahlung
rötlichen Feuerscheins gewohnt. Die Farbtemperatur von Fluoreszenzleuchten hingegen hemme die Wirksamkeit des Schlafhormons
Melatonin. Außerdem verdampfen Energiesparlampen zur Lichterzeugung Quecksilber. Gehen die Neu-Leuchten daheim zu Bruch oder
werden sie nicht ordentlich entsorgt, gelangt das Gift in die Umwelt. Doch über all dieses Für und Wider wurde nie öffentlich
debattiert. Wie konnte der Bann der Birne trotzdem in die Welt kommen? Und bei wem kann der Wähler – je nach illuminativer
Vorliebe – seinen Dank oder seine Wut über das Verbot abladen?
Zu rekonstruieren, wie die EU die Birne verbot, ähnelt dem Abtauchen in eine Wurstmaschine. Die Details sind nicht immer appetitlich.
Doch sie lehren eine Menge darüber, warum es in der E U-Gesetzgebung so oft an der gebotenen Auseinandersetzung über die Angemessenheit von Regulierungen mangelt. Und warum dieser Mangel an
kritischer Selbstkontrolle dazu führt, dass Brüssel gelegentlich den Bogen überspannt.
Der Anfang vom Ende der Birne
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