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So nicht, Europa!

Titel: So nicht, Europa! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Bittner
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überlebt haben.
Alle Menschen werden Brüder
auf der Nordseite der Rue de la Loi,
von der Mode streng geteilt
bleiben sie auf der Südseite.
    Tatsächlich changiert die EU permanent zwischen diesen beiden Regierungsformen, zwischen verwalteter Einheit und erkämpfter
     Einigkeit. Es gibt keinen politischen Begriff für diese Dualität. Die EU ist kein Bundesstaat, denn es fehlt ihr an einer
     bürgergetragenen Regierung. Sie ist aber auch mehr als ein Staatenbund, weil sie nicht nur durch Diplomatie zusammengehalten
     wird. Wissenschaftler haben sich mittlerweile einfach darauf geeinigt, die EU als eine Institution
sui generis
, eigener Art, zu bezeichnen. Das Bundesverfassungsgericht prägte in seinem Maastricht-Urteil den Ausdruck
Staatenverbund
. Wie immer man sie nennen mag, das kleine Alltagswunder der EU besteht in den Worten des britischen E U-Diplomaten Robert Cooper darin, dass ihre Staaten, die noch im 17.   Jahrhundert mit dem Westfälischen Frieden eine Ordnung unverletzlicher Mauern staatlicher Souveränität errichteten, einen
     Systemwechsel vollzogen haben, der zu der Errungenschaft führte,sich ständig gegenseitig in innere Angelegenheiten hineinzureden, bis hinein in Bier- und Wurstinhalte.
    Nebenbei möchten sie auch noch die Weltordnung neu formen. Der stetige und verzweifelte Ehrgeiz, den die EU ausstrahlt, besteht
     darin, Großmachtansprüche à la USA mit Funktionsprinzipien à la UN versöhnen zu wollen. Zwischen diesen Polen bewegt sich
     konsequenterweise die Wertschätzung der »User« der EU.   Für die einen erzeugt das Brüsseler Kooperationsmodell ein einzigartiges europäisches »Weltbürgertum«. Der gelbe Sternenkreis,
     der auf blauem Grund flattert, ist ihnen ein Heiligenschein und Perfektionsverheißung. Andere verteufeln das Bürokratie-Europa
     als EUdSSR, als neosowjetischen Regelungskraken. Die vielbeschworene »europäische Integration« dient nach ihrer Ansicht nur
     dazu, den Einfluss einer mediokren, selbstverliebten E U-Kaste zu steigern.
    Auf eine gesunde, ausgewogene Einschätzung scheint die EU bislang ebenso selten zu stoßen wie – für sich selbst – auf einen
     gesunden Mittelweg. Aber liegt genau in diesem Spannungsverhältnis, im Zwang zur ständigen Selbstkorrektur, womöglich das
     Geheimnis ihres unauffälligen Erfolges? »Das Modell EU, so schwierig wie es ist, ist ein ziemlich gutes«, sagt ein deutsches
     Regierungsmitglied auf dem Höhepunkt der Finanzkrise. »Sicher, wir sind bedächtiger, kollektiver und langsamer als andere.
     Aber genau deswegen sind wir eben manchmal auch überlegter und angemessener in unseren Reaktionen.« Als »Wunderbare Würgeschlange«
     bezeichnete der ›Spiegel‹ im Sommer 2008 die EU: »Am Ende dieser länglichen Verdauungsprozesse ist sie immer wieder ein munteres,
     schlagkräftigeres und schönes Wesen.«
     
    Immer? Natürlich kann sich die Entdeckung der Langsamkeit in einigen Politikbereichen als Marktvorteil für die EU entpuppen.
     Unter den politischen Systemen dieser Welt ist sie so etwas wie der Hybridmotor. Es gibt den stillen Generator Kommission
     – und die geregelte Brennstoffzufuhr aus den schwungmächtigen Hauptstädten. Es gibt Kontinente, die darin ein Modell für ihren
     Zukunftsantrieb sehen. Mercorsor in Südamerika und die Organisation Afrikanischer Staaten zum Beispiel versuchen nach E U-Vorbild harmonisierte Regionalwirtschaften zu errichten. Sie hoffen dadurch Anschluss an die Globalisierung zu finden.
    Doch umgekehrt gilt: Je stärker einzelne Nationen sind, destounnatürlicher erscheint ihnen der Gedanke, Macht an eine suprastaatliche Instanz abzugeben. Sie haben diese Einbuße an Souveränität
     schlicht nicht nötig. Das ist ein Grund dafür, warum die komplexen Regeln der EU Besuchern aus den Vereinigten Staaten kaum
     zu vermitteln sind. Die Erklärung, dass in Brüssel Staaten für und mit anderen Staaten Gesetze für die europäischen Bürger
     machen, ruft bei Amerikanern Stirnrunzeln hervor. Und man weiß nie so genau, ob dahinter Respekt oder Bestürzung steckt.
    Die Doppelnatur der EU ist aber nicht einfach nur ein P R-Pro blem , das sich mit besserer »Verkaufe« beheben ließe. Sie sorgt letztlich für eine Entdemokratisierung europäischer Macht. Die
     Abgabe von nationalstaatlicher Souveränität zieht unausweichlich eine Preisgabe von Volkssouveränität nach sich. Oder, um
     das beliebte Bild vom »europäischen Haus« zu bemühen: Man kann der Eigentümerverwaltung

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