So nicht, Europa!
kleinen Möglichkeit, ihr Prestigeziel schlechthin zu verwirklichen. Es besteht (damals
noch) darin, den CO 2 -Ausstoß Europas bis 2020 um 20 Prozent zu drosseln. Um dies zu erreichen, müssten jährlich 780 Millionen Tonnen CO 2 eingespart werden. Das Verbot der Glühbirne würde zwar mit maximal 15 Millionen Tonnen zu Buche schlagen, rechnen die Leute von Energie-Kommissar Andris Piebalgs aus. Aber wie bemerkte der australische
Umweltminister so richtig? Das Verbot wäre ein Symbol dafür, wie fest entschlossen man den Klimaschutz angeht. Gabriels Vorschlag
wirkt wie eine Kerosininjektion auf den Brüsseler Apparat. Selbst in Berlin wundert man sich, wie reibungslos die Operation
Birnenbann vonstattengeht. »Es lief eher informell an«, erinnert sich ein Mitarbeiter von Minister Gabriel. »Aber nach dem
Brief an Dimas war die Sache ein Selbstläufer. Wir waren überrascht, wie schnell die EU funktionieren kann.«
Schon auf dem Europäischen Frühjahrsgipfel am 9. März 2007 sind die notwendigen legislativen Vorarbeiten erledigt. Die Kommission legt den E U-Staatschefs ihren Vorschlag zur Umsetzung des Glühbirnenverbots vor. Die 27 Regierungschefs diskutieren nicht lange. Unter Federführung von Bundeskanzlerin AngelaMerkel erteilen sie der Kommission das gewünschte Mandat. Einstimmig billigen sie, neben anderen Großthemen, einen »Aktions plan Energiepolitik«.
Ob sie wussten, was genau sie damit taten, ist fraglich. Europäische Gipfel dauern anderthalb Tage, und es gibt jedes Mal
tausend dringende Dinge zu besprechen in der erstickenden Enge des Justus-Lipsius-Gebäudes. Zwei bis drei Minuten hat jeder
der 27 Staatschefs im Durchschnitt, um seine wichtigsten Positionen vorzubringen. Verbrauchsdetails von Elektrokleingeräten gehören
nicht dazu.
Und selbst wenn die Staatschefs die exakten Formulierungen des Gipfel-Communiqués gelesen haben sollten, das sie am Ende ihrer
Zusammenkunft unterschrieben, ist es unwahrscheinlich, dass sie die Wirkung erkannten, die das Kleingedruckte in Europas Bau-
und Elektromärkten entfalten sollte. Unscheinbar, am Ende eines 2 5-seitigen Dokuments, hinter einem Spiegelstrich unter Römisch IV, Punkt 6, beauftragen die Staatschefs die Kommission, »rasch Vorschläge
vorzulegen, damit strengere Energieeffizienzanforderungen (…) für Glühlampen und sonstige Arten von Beleuchtungen in Privathaushalten
bis 2009 festgelegt werden können«. Kein Wort von
Verbot
steht da. Kein Warnsignal an den Leser, dass diese Formulierung de facto das Aus für die Glühbirne bedeutet. Doch genau das
tut es.
Im entscheidenden Moment schafft es die Glühbirne nicht, zum Politikum zu werden. »Ich erinnere mich während unserer Ratspräsidentschaft
nicht an eine einzige Pressenachfrage dazu«, sagt ein deutscher Diplomat. »Das war während der wilden sechs Monate nur eines
von vielen Lichtern, die kurz aufflackerten und dann unter dem Laub weiterglühten.« Interessanter, packender für die Zeitungsleser
und Fernsehzuschauer erscheint das große Ganze: Europas Ehrgeiz im Kampf gegen den Klimawandel. Die Ökodesign-Richtlinie ist
in diesem Identitätsprojekt nur ein Baustein von vielen. Und die Glühbirne ist innerhalb dieses Bausteins ein Kieselchen,
das man mit der Pinzette herauspicken müsste.
In der Rue de la Loi macht sich nach dem Beschluss der Staatschefs die E U-Kommission an die kleinteilige Normenarbeit. Dazu dient ein Prozess, der sich »Komitologie« nennt. Der Begriff klingt ein wenig sowjetisch.
Und völlig abwegig ist die Assoziation tatsächlichnicht. Um sich später keine Kritik aus den Mitgliedstaaten anhören zu müssen, beteiligt die Kommission bei der Umsetzung von
Ratsbeschlüssen möglichst viele Vertreter von Interessengruppen und Fachexperten aus allen E U-Ländern . Je nach Materie finden sie sich in verschiedenen Ausschüssen (Komitees) zusammen. Diese Miniräte haben das Recht, Projekte
der Kommission gutzuheißen oder abzuändern.
Die neue, gabrielisierte Ökodesign-Richtlinie, mit der sie sich beschäftigen, enthält nun als 19. Produktgruppe, hinter »Staub saugern « und »komplexen Digitalempfängern«, auch die Kategorie »Haushaltsbeleuchtung / Allgemeinbeleuchtung«. Die eigentlich recht unkomplexe Frage lautet, wie der politische Wille, die Birne zu verbieten, technisch
begründet werden kann. Es schlägt die Stunde der Glühfädenmesser. Private Experten aus allen möglichen
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