So nicht, Europa!
die Voten der 18 Länder respektieren, die den Vertrag bereits ratifiziert haben. Das irische Nein kann nicht das letzte Wort sein.« 100 Noch weniger Achtung für die Ansichten der einzigen Europäer, die je nach ihrer Meinung zum Lissabon-Vertrag gefragt worden
waren, bewies der SP D-Bundestagsabgeord nete Axel Schäfer, der sagte: »Mit allem Respekt für das irische Votum, wir können es nicht zulassen, dass die große Mehrheit
der Europäer von der Minderheit einer Minderheit einer Minderheit düpiert wird.« 101 Nicolas Sarkozy sprach schließlich aus, was hinter den Kulissen schon längst einhellige Meinung war: »Die Iren werden noch
einmal abstimmen müssen.« So kam es dann auch.
Declan Ganley suchte nach all dem in dem luftigen, verglasten Büro im Brüsseler Hauptquartier von Libertas nach den richtigen
Worten. »Es ist doch mugabeesk, was hier passiert«, befand er in Anspielung auf den Diktator von Simbabwe. »Wenn ein Abstimmungsergebnis
diesen Eliten nicht passt, dann wird eben noch mal abgestimmt.« Je länger der Ire versuchte, die Stimmung zu drehen, desto
verbissener und abfälliger klang seine Anklage gegen »sie«, gegen die »Elite«.
An einem Abend im April 2009, zwei Monate vor den Europawahlen, offenbarte sich, dass Libertas zum Opfer eines überspannten
Einzelkämpferethos zu werden drohte. Eine »Big Debate« war anberaumt worden in Brüssel, schon wochenlang vorher wurde sie
wie ein Ringkampf beworben. Es trafen aufeinander Declan Ganley und Daniel Cohn-Bendit, E U-Guerillero contra Ex-Guerillero. Hunderte Gäste aus der Europacommunity strömten in den Festsaal eines großen Hotels nahe des Europaparlaments,
sie erwarteten eine der spannendsten Debatten des Jahres. Was sie erlebten, war ein Big Debakel. Ganley hielt ein Buch in
die Höhe, in dem Cohn-Bendit schildert, wie er als Erzieher in den 70er-Jahren Kinder gestreichelt habe. Die Botschaft: ein
Kinderschänder! Cohn-Bendit seinerseits hielt Ganley vor, er unterhalteGeschäftsbeziehungen in die USA. Will sagen: ein neokonservativer Einflussagent! Die Chance, darüber zu reden, ob und wie es eine bessere, bürgernähere EU
geben kann, zerstob in einem anderhalbstündigen emotionalen Sperrfeuer.
Die gleiche Entwicklung vollzog sich innerhalb von Libertas selbst. Zwar versicherten ihre P R-Beauftragten , dass Hitzköpfe von der Partei ferngehalten würden, aber auf Libertas-freundlichen Websites fanden sich Stellungnahmen wie:
»Unsere Kandidaten müssen einen absoluten Hass auf die EU haben, nicht, dass wir unwissentlich Maulwürfe wählen, die weitermachen
wie bisher« oder »Wir werden von deutschlandfeindlichen Politikern regiert«. Kein Wunder, dass sich gestandene E U-Kritiker , die im Wahlkampf als Zugkräfte der Bewegung hätten dienen können, von Libertas fernhielten. Der CS U-Mann Peter Gauweiler, der vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den Lissabon-Vertrag klagte, versicherte, er halte die Arbeit
von Libertas zwar für »verdienstvoll«, aber sich deswegen gemein machen mit ihr? I wo. Ebenso wenig wollten die prominentesten
Brüsseler Abweichler-Abgeordneten Hans-Peter Martin (Österreich) und Jens-Peter Bonde (Dänemark) auf der Libertas-Liste kandidieren.
Er berate Declan Ganley gern, sagte Martin, »aber die Unabhängigkeit ist ein hohes Gut.«
In Frankreich führte am Ende der als rechtsgerichtet geltende Philippe de Villiers Libertas an, in Polen kamen Gerüchte über
Antisemiten in den Reihen der neuen Partei auf, in Prag unterstützte der von Kritikern als »tschechischer Berlusconi« gescholtene
Medienunternehmer Vladimir Zelezny die Gruppe. Das Problem schien zu sein, dass falsch verstandene Brüssel-Kritik aus derselben
Ressentiment-Familie stammt wie Fremdenfeindlichkeit: »Die da oben« sorgen mit ihren finsteren Koalitionen dafür, dass »wir
hier unten« entrechtet werden. In Großbritannien, dort wo Libertas mit erheblichen Sympathien im bürgerlichen Lager hätten
rechnen könnte, beugten die Tories vor, indem sie selbst ein Referendum über den Lissabon-Vertrag forderten.
Und im größten europäischen Land? Dort gibt es einen Rechtsanwalt in Duisburg, der zu Beginn Feuer und Flamme für Libertas
war. Einige Monate später bezeichnet der Mann seine kurze Präsidentschaft von Libertas Deutschland als »meinen One-Night-Stand
mit der Politik«. Hinter dem Schreibtisch von Carlos A. Gebauer hängen zwei große Fotos; eines zeigt ihn in einer
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