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So nicht, Europa!

Titel: So nicht, Europa! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Bittner
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Politikwissenschaft als
méthode Monnet
bekannt. Den Neofunktionalisten erschien sie als die beste Möglichkeit,einen immer engeren Zusammenschluss der europäischen Völker herzustellen. Denn einmal in Gang gesetzt, würde sich durch die
     Verlagerung der Entscheidungsebene auch die Loyalität der Bürger auf das neue Zentrum hin orientieren. 104 Mit vielem haben Monnet und seine Anhänger Recht behalten. Die Integration folgte bisher zumeist der Institution (das aktuellste
     Beispiel ist der neue Europäische Auswärtige Dienst), nur selten war es umgekehrt. Und jede neue Institution zog neue Lobbyisten,
     NG O-Ver treter und Verbände nach Brüssel. Wuchsen die Verträge, wuchsen rund um die Place Schuman auch die Bürobauten.
    Nur mit ihrer letzten Vorhersage sollten die »Monnisten« nicht Recht behalten. Der Sog nach oben schließt keineswegs die Loyalität
     der Bürger mit ein. Im Gegenteil, der politische Mehrwert einer immer engeren Union wird immer stärker begründungspflichtig
     – und zugleich immer weniger vermittelbar. Die Grundhaltung gegenüber der Europäischen Union hat sich in eine skeptische gewandelt;
     sie findet Ausdruck in der sinkenden Wahlbeteiligung zum Europäischen Parlament, in den Neins zu Maastricht, Nizza und Lissabon
     und in der alltäglichen Kritik an der sprichwörtlich gewordenen Brüssel-Bürokratie. Neue Verträge entfalten entgegen der
méthode Monnet
längst keinen Lockgeruch mehr auf die Zivilgesellschaft. Der letzte große Wurf, der Lissabon-Vertrag, gleicht vielmehr einem
     Ball, der so weit geschossen wurde, dass ihm kaum jemand mehr hinterherlaufen möchte.
    In die europäischen Führungsetagen findet diese Skepsis nach wie vor keinen Einlass. Die
méthode Monnet
hat dort zu einer paternalistischen Attitüde geführt. Man vertritt die Haltung, es sei die Institution, die politische Fortschrittlichkeit
     verkörpere, also müsse diese Institution von oben nach unten wirken. Das Verfassungsprojekt Europas mag gescheitert sein,
     doch das hindert die Berufseuropäer nicht daran, sich als politische Klasse zu empfinden. Sie fühlen sich als Volksvertreter,
     die sich ihr Volk bloß noch erziehen müssen. Sie glauben noch immer daran, dass die EU sich auch in Zukunft verhalten wird
     wie ein Wetterballon: Je höher sie steigt, desto stärker wird sie sich entfalten.
     
    José Manuel Barroso empfängt im 13.   Stock des Berlaymont-Gebäudes. Die Sitzecke im so genannten Protokollzimmer besteht aus drei sachlichen schwarzen Cocktailsesseln
     und einer Couch. Eine Wand aus auffällig kunstvoll gestalteten, blauen Glaskacheln ziert die Stirnseite des Raumes. Barroso
     begrüßt den Besucher mit offenem Lächeln und jovialem Gestus. Der Portugiese ist ein Mann mit durchaus hintergründigem Humor,
     aber er zeigt ihn selten. Zu stark hält ihn seine Rolle als Chef eines von den Hauptstädten mit Argusaugen beobachteten Kollegialorgans
     in Zaum.
    Es ist das zweite Interview, zu dem sich Barroso innerhalb einer Woche bereit findet. Wir wollen darüber reden, ob er wirklich
     daran glaubt, dass der Lissabon-Vertrag die Europäische Union demokratischer macht. Die Niederschrift der ersten Begegnung
     hatte Barrosos Sprecherteam derart verändert, dass es unmöglich noch als halbwegs authentische Gesprächswiedergabe gelten
     konnte. Beim zweiten Versuch lassen sie mehr vom ursprünglichen Inhalt durchgehen. Barroso verschränkt die Hände vor der Brust
     und beugt sich vor. Er macht das immer so, wenn ihm ein Punkt wichtig ist.
     
    »Ich denke, dass der Lissabon-Vertrag das demokratische Element der EU enorm stärkt, ja. Erstens dadurch, dass das Europäische
     Parlament mehr Macht und Kompetenzen erhält. Und zweitens dadurch, dass die nationalen Parlamente Prüfungs- und Einspruchsmöglichkeiten
     bekommen, die sie heute nicht besitzen. Sie können künftig Entscheidungen der Kommission auf ihre Vereinbarkeit mit dem Subsidiaritätsgedanken
     hin überprüfen lassen.«
    [J.   B.]Die nationalen Parlamente müssen dazu innerhalb einer achtwöchigen Frist mindestens ein Viertel ihrer Mitglieder dazu bewegen,
     einen begründeten Einspruch gegen Vorschläge aus Brüssel einzulegen. Dies zu bewerkstelligen, ist in der Praxis völlig illusorisch.
    »Vergleichen Sie die neue Prüfungs- und Einspruchsmöglichkeit mit der bisherigen Situation. Auch die schärfsten Kritiker müssen
     doch, vorausgesetzt sie verfügen über ein Minimum intellektueller Ehrlichkeit, eingestehen, dass die

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