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So nicht, Europa!

Titel: So nicht, Europa!
Autoren: Jochen Bittner
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Mitspracherechte beträchtlich
     zunehmen. Wenn die nationalen Parlamente glauben, die Frist sei zu kurz, dann sollten sie offen gesagt vielleicht darüber
     nachdenken, ihre Abläufe entsprechend anzupassen. Vielleichtgibt es für sie in der Tat noch Möglichkeiten, die Überprüfung des Regierungshandelns zu verbessern. Immerhin gibt es heute
     schon Länder, in denen die parlamentarische Kontrolle der Regierung bei Europaangelegenheiten sehr, sehr strikt ist – in Dänemark
     oder den Niederlanden zum Beispiel.«
    Aber wollen Sie das den Parlamenten tatsächlich empfehlen? Denn angenommen, sie machen ihre Hausaufgaben und lernen, ihre
     Regierungen bei Brüsseler Räten an der kurzen Leine zu führen, wie soll das dann zu einer größeren Effizienz der EU führen?
    »Da unterstellen Sie, dass die nationalen Parlamente ihre Mitsprache regelmäßig für ein Nein nutzen würden. Man kann aber
     auch gut das Gegenteil annehmen. Die nationalen Parlamente könnten ihre Regierung ja auch anweisen, noch kooperativer zu sein,
     noch stärker für das europäische Gemeinwohl zu arbeiten. Die gegenwärtige Finanz- und Wirtschaftskrise zum Beispiel zeigt
     doch in aller Deutlichkeit, dass wir europäische Antworten brauchen. Also: Die Parlamente kommen in eine Situation, in der
     sie von der Europäischen Union entschlosseneres Handeln verlangen können.«
    Nehmen wir Ihr zweites Argument, nach dem die Demokratie auf E U-Ebene gestärkt werde. Das Europäische Parlament erhält wesentlich mehr Mitbestimmungsrechte.
    »Richtig.«
    Wenn ich aber unzufrieden bin mit dessen Beschlüssen, kann ich nicht die Abgeordneten aus Griechenland, Spanien oder Italien
     abwählen.
    »Nein, aber Ihre Abgeordneten.«
    Aber wenn die doch in den europäischen Bündelfraktionen überstimmt werden von Abgeordneten, auf deren Wahl ich keinen Einfluss
     habe   …
    »…   aber die Mitglieder des EP haben doch ein freies Mandat. Was Sie beschreiben, ist doch kein spezifisches Problem Europas.
     Die Frage stellt sich innerstaatlich genauso. Außerdem, Deutschland ist nicht allein in der EU, deswegen müssen eben auch
     die Stimmen der anderen berücksichtigt werden. Aber genau das ist doch das Großartige an dieser Union!«
    Sie glauben also, dass Entscheidungen aus Brüssel die Bürger in Zukunft weniger überraschen?
    »Entscheidungen aus Brüssel, wie Sie sagen, werden in denmeisten Fällen von Vertretern aus den Nationalstaaten getroffen. Die Kommission macht Vorschläge, aber die Entscheidungen
     fallen im Rat und im Parlament. Wenn es also manchmal ein Demokratiedefizit gibt, dann muss man sich zuerst fragen, warum
     sich die nationale Ebene nicht darum kümmert. Man muss schon auseinanderhalten, welche Vorschläge und Ideen in Brüssel entstehen
     und welche Entscheidungen letztlich die Mitgliedstaaten treffen. Aber fragen Sie doch mal die Leute! Die meisten wollen, dass
     die EU schlagkräftiger auftritt, gerade nach außen hin.«
     
    Tun wir das, fragen wir die Leute. Nur 35   Prozent aller Europäer glauben, dass ihre Stimme in der Europäischen Union etwas zählt. Das ist freilich nur eine Seite der
     Wahrheit. Die andere lautet, dass sie diesen Umstand nicht besonders schlimm finden. 53   Prozent der E U-Bürger halten die E U-Mitgliedschaft ihres Landes für gut, und 54   Prozent sagen, dass sie »zufrieden« sind mit der Art, wie auf der europäischen Ebene Demokratie funktioniert. 105
    Ist das ein Argument für Barrosos Haltung? Spricht aus diesen Zahlen die Einschätzung, dass in Brüssel die besseren Experten
     sitzen, denen man gerade
wegen
ihrer Entfernung zum Volk und zu wahlkämpferischen Polarisierungen die sachgerechteren Lösungen zutraut? Noch provokanter
     gefragt: Funktionieren die Rechtssetzung und die Politik der EU, dieser »Geschäftsführer demokratie «, vielleicht nicht trotz all ihrer Legitimationsdefizite erstaunlich gut, sondern genau wegen ihnen? Eben weil die EU ein
     Experten- und Elitenprojekt sein muss, das sich vor populären Meinungsströmen zu hüten hat?
    Und über was genau, wenn es nicht um Grundsatzfragen geht, sollen die Bürger eigentlich alle vier Jahre bei der Wahl abstimmen?
     Die Europäische Union funktioniert nach extrem komplexen Regeln. Europa bewegt sich langsam, in zahllosen Trippelschritten,
     und mit tausend Füßen. Es hat 27   Länderinteressen miteinander zu versöhnen. Nationale Themen wie Jugendkriminalität oder Arbeitsmarktpolitik lassen noch einigermaßen
     befriedigend
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