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So nicht, Europa!

Titel: So nicht, Europa!
Autoren: Jochen Bittner
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in einer Talkshow behandeln. Die Begrenzung von Fangquoten zwischen den Mittelmeeranrainern oder die Notwendigkeit
     einer EU-weiten Bodenschutz-Richtlinie schon weniger. Seien wir ehrlich: Die meisten E U-Themen sind schlicht zu unsexy, als dass der Normalbürger sich überhaupt ansatzweise mit ihnen befassen
wollte
.
    Man könnte diesen Gedanken auch das Gesetz der Entfremdung nennen: Je
un
überschaubarer politische Sachverhalte werden, desto umfangreicher
muss
die Vertretung des Volkswillens durch seine Repräsentanten werden, damit Entscheidungen noch sachgerecht getroffen werden
     sollen. Aber wie kann eine solche Instanz, wie kann die EU überhaupt noch Kontakt zu den Menschen halten? Auch dazu hat sie
     eine eigene Methode erdacht.

2.   Unten zu langsam
    Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie die Bevölkerung
    Eine Kaskade von nationalen Referenden ist die völlig falsche Methode zur Annahme eines Europavertrages. Manchen Befürwortern
     von nationalen Referenden geht es in Wirklichkeit nicht um Bürgerbeteiligung, sondern um Zerstörung dieser neuen Etappe für
     die europäische Integration.
    Jo Leinen, SP D-Europaabgeordneter
     
    Die Organe pflegen einen offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog mit den repräsentativen Verbänden und der Zivilgesellschaft.
    E U-Vertrag Art. 11   Absatz 2
     
    Würde die EU eigentlich aufgenommen werden, wenn sie einen Antrag auf Aufnahme in die EU stellt? In einem liberalen Verfassungsstaat
     haben Gesetze nicht per Minister- und Diplomatenabsprache hinter den Kulissen zustande zu kommen, sondern auf der offenen
     Bühne. Ist Europa einfach zu komplex, um im Inneren konsequent jene Grundsätze anzuwenden, die es auf seinem Banner nach außen
     trägt? Ist das System Brüssel überhaupt demokratiegeeignet?
    Grundsätzlich kann als Demokrat nur gelten, wer bereit ist zu akzeptieren, dass seine Mitbürger mehrheitlich eine andere Entscheidung
     treffen als die, die er selbst bevorzugt. Natürlich ist die Europäische Union nicht schon deshalb undemokratisch, weil sie
     ihre Bürger nicht über den Reformvertrag abstimmen lässt. Dann wäre ja auch derjenige kein Demokrat, der das Volk nicht über
     die Einführung der Todesstrafe abstimmen lassen möchte oder über die Höhe der Steuern. Dies sind altbekannte Beispiele gegen
     Volksbefragungen. Aber sie taugen noch immer, um zu illustrieren, warum eine Demokratie im wörtlichen Sinne kein Mittel zur
     Steuerung moderner Massengesellschaften sein kann. Die repräsentative Demokratie fußt auf dem richtigen Gedanken, dass Volkes
     Wille nicht zwangsläufig Ausfluss letzter politischer Weisheit ist. Die EU nun hat mit ihrer Gründung eine zusätzliche Ebene
     über den Nationalstaateneingezogen. Eine seltsame Hybridform zudem, denn die Kommission, die Exekutive, ist eine mit Politikern besetzte Behörde.
     Wo gäbe es so etwas sonst? Wäre es angesichts dieser Ausdehnung der Politikzone nicht konsequent, auch unseren Begriff von
     demokratischer Vertretung auszudehnen?
     
    In den 70er-Jahren gab es ein Kinderspiel, das sich »Dr.   Bibber« nannte. Doktor Bibber bestand aus einem auf einer Metallfolie aufgemalten Patienten, dem vermittels einer verdrahteten
     Pinzette allerlei morsche Knochen oder faule Organe aus kleinen Öffnungen operiert werden mussten. Berührte die Pinzette die
     Kanten der Öffnungen, trötete der Patient erschreckt, ließ seine rote Knollnase leuchten, und der jeweilige Doktor Bibber
     war wegen Kunstfehlern sein Honorar los. Die Mehrheit der Politiker und Entscheidungsträger in Brüssel verhalten sich wie
     Doktor Bibber, sprich: sie sind vorsichtige Operateure im besten Sinne. Ihre Generation besteht im Großen und Ganzen aus überzeugten
     Demokraten. Sie wissen, dass sie im eigenen Interesse alles vermeiden sollten, das ihren Wählern wehtut. Bei vielen Politikmanagern
     in Brüssel läuft eine feine Selbstkontrolle mit, die ihre Eingriffe auf Unverträglich- oder Unzumutbarkeiten prüft. Europas
     Regierende sind im Großen und Ganzen auf
Good Governance
programmiert. Vielleicht ist dies die größte kulturelle Errungenschaft dieses Kontinents: die demokratische Konsolidiertheit
     seiner Menschen und Systeme.
    Auch in den Nationalstaaten gibt es schwach bis gar nicht demokratisch legitimierte Institutionen, denen die Bürger regelmäßig
     mehr Vertrauen entgegenbringen als ihren gewählten Vertretern. In Deutschland wären das Bundesverfassungsgericht oder die
     Bundesbank zu
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