So nicht, Europa!
in einer Talkshow behandeln. Die Begrenzung von Fangquoten zwischen den Mittelmeeranrainern oder die Notwendigkeit
einer EU-weiten Bodenschutz-Richtlinie schon weniger. Seien wir ehrlich: Die meisten E U-Themen sind schlicht zu unsexy, als dass der Normalbürger sich überhaupt ansatzweise mit ihnen befassen
wollte
.
Man könnte diesen Gedanken auch das Gesetz der Entfremdung nennen: Je
un
überschaubarer politische Sachverhalte werden, desto umfangreicher
muss
die Vertretung des Volkswillens durch seine Repräsentanten werden, damit Entscheidungen noch sachgerecht getroffen werden
sollen. Aber wie kann eine solche Instanz, wie kann die EU überhaupt noch Kontakt zu den Menschen halten? Auch dazu hat sie
eine eigene Methode erdacht.
2. Unten zu langsam
Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie die Bevölkerung
Eine Kaskade von nationalen Referenden ist die völlig falsche Methode zur Annahme eines Europavertrages. Manchen Befürwortern
von nationalen Referenden geht es in Wirklichkeit nicht um Bürgerbeteiligung, sondern um Zerstörung dieser neuen Etappe für
die europäische Integration.
Jo Leinen, SP D-Europaabgeordneter
Die Organe pflegen einen offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog mit den repräsentativen Verbänden und der Zivilgesellschaft.
E U-Vertrag Art. 11 Absatz 2
Würde die EU eigentlich aufgenommen werden, wenn sie einen Antrag auf Aufnahme in die EU stellt? In einem liberalen Verfassungsstaat
haben Gesetze nicht per Minister- und Diplomatenabsprache hinter den Kulissen zustande zu kommen, sondern auf der offenen
Bühne. Ist Europa einfach zu komplex, um im Inneren konsequent jene Grundsätze anzuwenden, die es auf seinem Banner nach außen
trägt? Ist das System Brüssel überhaupt demokratiegeeignet?
Grundsätzlich kann als Demokrat nur gelten, wer bereit ist zu akzeptieren, dass seine Mitbürger mehrheitlich eine andere Entscheidung
treffen als die, die er selbst bevorzugt. Natürlich ist die Europäische Union nicht schon deshalb undemokratisch, weil sie
ihre Bürger nicht über den Reformvertrag abstimmen lässt. Dann wäre ja auch derjenige kein Demokrat, der das Volk nicht über
die Einführung der Todesstrafe abstimmen lassen möchte oder über die Höhe der Steuern. Dies sind altbekannte Beispiele gegen
Volksbefragungen. Aber sie taugen noch immer, um zu illustrieren, warum eine Demokratie im wörtlichen Sinne kein Mittel zur
Steuerung moderner Massengesellschaften sein kann. Die repräsentative Demokratie fußt auf dem richtigen Gedanken, dass Volkes
Wille nicht zwangsläufig Ausfluss letzter politischer Weisheit ist. Die EU nun hat mit ihrer Gründung eine zusätzliche Ebene
über den Nationalstaateneingezogen. Eine seltsame Hybridform zudem, denn die Kommission, die Exekutive, ist eine mit Politikern besetzte Behörde.
Wo gäbe es so etwas sonst? Wäre es angesichts dieser Ausdehnung der Politikzone nicht konsequent, auch unseren Begriff von
demokratischer Vertretung auszudehnen?
In den 70er-Jahren gab es ein Kinderspiel, das sich »Dr. Bibber« nannte. Doktor Bibber bestand aus einem auf einer Metallfolie aufgemalten Patienten, dem vermittels einer verdrahteten
Pinzette allerlei morsche Knochen oder faule Organe aus kleinen Öffnungen operiert werden mussten. Berührte die Pinzette die
Kanten der Öffnungen, trötete der Patient erschreckt, ließ seine rote Knollnase leuchten, und der jeweilige Doktor Bibber
war wegen Kunstfehlern sein Honorar los. Die Mehrheit der Politiker und Entscheidungsträger in Brüssel verhalten sich wie
Doktor Bibber, sprich: sie sind vorsichtige Operateure im besten Sinne. Ihre Generation besteht im Großen und Ganzen aus überzeugten
Demokraten. Sie wissen, dass sie im eigenen Interesse alles vermeiden sollten, das ihren Wählern wehtut. Bei vielen Politikmanagern
in Brüssel läuft eine feine Selbstkontrolle mit, die ihre Eingriffe auf Unverträglich- oder Unzumutbarkeiten prüft. Europas
Regierende sind im Großen und Ganzen auf
Good Governance
programmiert. Vielleicht ist dies die größte kulturelle Errungenschaft dieses Kontinents: die demokratische Konsolidiertheit
seiner Menschen und Systeme.
Auch in den Nationalstaaten gibt es schwach bis gar nicht demokratisch legitimierte Institutionen, denen die Bürger regelmäßig
mehr Vertrauen entgegenbringen als ihren gewählten Vertretern. In Deutschland wären das Bundesverfassungsgericht oder die
Bundesbank zu
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