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So nicht, Europa!

Titel: So nicht, Europa! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Bittner
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Intellektuelle Arthur Koestler einmal. Ein System, das von den Menschen verlangt,
     nicht zu denken, sondern nur zu verstehen, muss jederzeit damit rechnen, dass sich die Duldsamkeit irgendwann erschöpft. Damit
     das eines Tages nicht unkontrolliert geschieht, sollten die Gestalter der EU den Warnruf des Frühjahrs 2009 ernst nehmen.
     
    Im Falle Irlands taten sie es nicht. Nach einer Pietätsfrist von 15   Monaten bat die irische Regierung das Volk noch einmal an die Urnen. Mittlerweile war die Insel tief in der Weltwirtschaftskriseversunken, und das kleine Land beschlich eine große Furcht. Immer mehr Iren sorgten sich, sie könnten aus der wärmenden Wirtschaftsgemeinschaft
     der Europäischen Union hinausgeworfen werden, wenn sie das Nein zum Lissabon-Vertrag bekräftigten. Die Befürworter des Vertrages
     nährten diese Angst nach Kräften. Die Plakatwände und Straßenlaternen von Dublin waren im Spätsommer 2009 gepflastert mit
     Plakaten, die insinuierten, was die falsche Wahlentscheidung wäre. Entweder Irland entscheide sich für die EU – oder es gehe
     unter. »I’m safer in Europe«, verkünden die Poster, »We belong« oder »YES for the economy«.
    »Man kriegt richtig Angst vor diesen Slogans!«, beschrieb mir ein junger Ire mit Schlabber- T-Shirt und einem schwarzen Kleeblatt auf der Baseball-Mütze die Gefühlslage jener Tage. Er putze »gerade selbst Klinken«, weil er
     wie so viele Iren seinen Job verloren habe, und die Drohung, Irland werde sich im Falle eines zweiten No von der Schutzgemeinschaft
     der übrigen 26   E U-Staa ten abkoppeln, mache ihn »echt nervös«. Auf diese unredliche Folgenverkettung stützten auch die Regierungsparteien ihre Ja-Kampagne.
     Sie verstärkten gezielt den Eindruck, bei dem Referendum ginge es um die E U-Mitgliedschaft des Landes. Darum ging es natürlich gerade nicht – wäre der Lissabon-Vertrag gescheitert, hätte Europa weiter auf der Grundlage
     des Nizza-Vertrages regiert werden können (und dies nicht einmal schlecht). Doch die Taktik der Angst zeigte Wirkung. Bei
     der zweiten Abstimmung stimmten 67,1   Prozent der Iren mit Ja. Einer von ihnen, der beim ersten Mal noch mit Nein gestimmt hatte, begründete seinen Meinungsumschwung
     in einem Interview vor dem Wahllokal so: »Jedes Mal, wenn ich den Fernseher anschalte, erzählt mir ein Politiker, dass nur
     die EU dieses Land retten kann. Ich will es eigentlich nicht, es fühlt sich illoyal an, aber heute stimme ich mit Ja. Ich
     habe das Gefühl, keine Wahl zu haben.« 103

Ganz oben: von der
méthode Monnet
bis zu José Barroso
    Verträge sind wie Mädchen und Rosen: Sie halten nur eine gewisse Zeit.
    Charles de Gaulle
     
    Das Volk sagt, was es möchte, und dann tue ich, was ich möchte.
    Friedrich der Große
     
    Dass Europa so schnell wie möglich in allen Kapillaren zusammenwächst, gilt gleichsam als Naturgesetz. Die Folge ist, dass
     die EU sich in Zukunft immer mehr wie ein Staat verhalten wird, ohne zugleich die gewohnten demokratischen Zutaten des Nationalstaates
     zu bieten. Das kann man wollen. Man sollte es auf jeden Fall wissen. Die meisten Europäer wissen es nicht, denn über den Lissabon-Vertrag
     gab es nie eine gebührende öffentliche Diskussion. Das war, das ist ein Fehler. Aber es ist kein Zufall.
    Politikwissenschaftler haben in den späten 50er-Jahren versucht, die Entstehungsdynamik der EU in einer Theorie zusammenzufassen.
     Jean Monnet, der Gründervater der Union, ging davon aus, dass jeder Schritt der europäischen Einigung die Perspektive auf
     das Projekt verändern und neue Aussichten eröffnen würde. Interessengruppen würden nach neuen Institutionen rufen, welche
     die nächste Ausbauphase managen sollen. Diese neuen Gemeinschaftsinstitutionen würden zu Spannungen mit den nationalen Instanzen
     führen, doch irgendwann werde immer eine »Gewöhnung« an die supranationale Entscheidungsfindung eintreten, und nach dem jeweiligen
     Schritt wachse der Anreiz, auch den nächsten Schritt zu gehen. Je mehr Handlungsfelder »eu ropäisiert « wären, desto mehr Gruppen würden ihre Aktivitäten auf den neuen Verbund konzentrieren. Letztlich würde diese sich selbst
     verstärkende Tendenz die Vergemeinschaftung von immer mehr Politikfeldern notwendig machen; es setze ein
Spill-over - Effekt
ein, also ein »Überschwappen« der Integration auf immer weitere Gesellschaftsschichten.
    Diese Methode zur Verlagerung von politischer Macht nach oben wurde in der

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