So nicht, Europa!
und Wirklichkeit der
Soft Power
EU lässt sich in Brüssels Avenue de Cortenbergh ziemlich eindrucksvoll besichtigen. Man muss dazu nur den Fahrstuhl nehmen
und im EUM S-Hauptquartier in einer der oberen Etagen aussteigen. Dort liegt das, was der Ratsbeschluss der Regierungschefs als die militärische »Operationszentrale«
der EU bezeichnet. Ein irischer Offizier mit blauem E U-Schulterzeichen führt mit verhaltenem Stolz durch die Tür. Sie öffnet sich in einen Raum, der etwa dreimal so groß ist wie ein durchschnittliches
Klassenzimmer. Ein knappes Dutzend Tischreihen sind frontal zum Raumende hin aufgestellt. Dunkle Flachbildschirme reihen sich
auf ihnen aneinander. Es sieht aus wie im Arbeitsstall eines Internet-Start-up-Unternehmens. Die Stühle vor den Arbeitsplätzen
sind allesamt unbesetzt. Ganz hinten, in einer Ecke, sitzt eine junge Soldatin mit einem Kameraden und beobachtet einen Bildschirm.
Die beiden überblicken Meldungen aus den laufenden E U-Einsätzen , sagen sie. Acht Offiziere wechseln sich dabei ab, die Zentrale in Standby-Betrieb zu halten.
Seit dem 1. Januar 2007 wartet das »EU Ops Centre« auf seine Aktivierung. »Bislang ist das nicht geschehen«, sagt der irische Offizier.
Doch wenn der Befehl der Staatschefs käme, könnten von diesem Raum aus, so versichert er, innerhalb kürzester Zeit bis zu
2000 Soldaten im Ausland geführt werden. Allenfalls zwanzig Tage würde es dauern, bis die Zentrale mit 89 Operateuren bestückt und voll einsatzfähig wäre.
Bis dieser Tag kommt, befehlen weiter die Hauptstädte über Strategie und Taktik von E U-Einsätzen . Zwar kann sich auch unter den bisherigen Bedingungen die Bilanz der sanften Weltmacht EU sehen lassen. Zwischen 2002 und
2004 waren nach Zählung des Pariser EU Institute for Security Studies deutlich mehr europäische Soldaten (33.261) in Friedensmissionen
eingesetzt als amerikanische (20.966). Bis zum Herbst 2009 war die EU in 23 Einsätzen engagiert. Ab 2003 gerechnet, entsandte die EuropäischeUnion damit im Durchschnitt alle drei Monate eine ESV P-Mission – vom Kongo bis nach Aceh. Freunde europäischer
Soft Power
stilisieren dieses Engagement zur überlegenen Methode der Krisenbewältigung hoch. Anders als die Amerikaner, die von einer
Schnell-rein-schnell-raus-Mentalität getrieben seien und stets nur punktuell und kurzzeitig intervenieren wollten, leisteten
die Europäer wahrhaft nachhaltige Aufbauarbeit. Sie träten mit dem ganzheitlichen Anspruch an, Umgestaltungen herbeizuführen,
sprich: ein besseres Land zu verlassen, als sie betreten hätten.
Die Wahrheit jenseits dieses Wunschdenkens ist deutlich profaner. So gerne manche europäische Strategiedenker auch das Bild
von der auf Feuerkraft fixierten Haudrauf-Großmacht Amerika pflegen; die angebliche Dichotomie zwischen den atlantischen Partnern
dient vor allem dazu, eigene Schwächen zu kaschieren. Es ist ein Klischee, dass die Vereinigten Staaten im Großen und Ganzen
schießwütige Hitzköpfe ins Feld schicken. In Washington hat man die Lektionen aus dem Irakkrieg gelernt. Es gibt immer weniger
U S-Generäle und GIs, die sich nicht auch als »Nation- Builder « verstehen würden. Kultursensibiliät ist keine europäische Spezialität mehr. Der zählebige Glaube Europas an die überlegene
Klugheit seiner Militärpolitik hat sich zu einer eigenen Form der Selbstüberhebung entwickelt. Man könnte sie »weiche Hybris«
nennen. Bei nüchterner Betrachtung ist Europas Alleinstellungsmerkmal vielmehr seine Planlosigkeit.
Es beginnt schon mit den Motiven für ein Engagement. Die wenigsten von Europas Peace-Building-Einsätzen folgen einer nachvollziehbaren
Strategie. Die Entscheidung darüber, wo Europa sinnvoll und mit Aussicht auf Wirkung eingreifen sollte, ist eben keine, die
an geopolitischen Interessen oder Nachhaltigkeit ausgerichtet wäre. Sieht man von den Stabilisierungsbemühungen in Ex-Jugoslawien
ab (sie folgen der vernünftigen Strategie, den Balkanstaaten eine Beitrittsperspektive zur EU zu eröffnen), werden E U-Missionen vielmehr anhand von drei Kriterien in die Welt geschickt, die man zusammengenommen als Gänsemarsch-Interventionismus bezeichnen
könnte: Welcher Mitgliedstaat hat ein eigenes Interesse am Eingreifen und schafft es, andere mitzuziehen? Ist die Gefahr für
die Soldaten überschaubar? Und: Ist die Wirkung auf die Weltöffentlichkeit freundlich?
Der E U-Einsatz im Kongo wurde
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