So nicht, Europa!
vom deutschen Verteidigungsministeroffiziell damit begründet, dass ungeheure Flüchtlingsströme auf Europa zukämen, wenn das kriegsgebeutelte Land nicht stabilisiert
werde. In Wahrheit hatten sich die Bundesregierung und die EU von den Vereinten Nationen drängen lassen, Truppen zu schicken.
Deren damaliger Generalsekretär Kofi Annan hatte den U N-Sicherheitsrat zuvor gebeten, das Blauhelmkontingent im Kongo aufzustocken – denn er fürchtete, die verfeindeten Lager könnten aus Anlass
der Wahlen erneut einen Bürgerkrieg anzetteln. Für seine Bitte fand er aber keine Mehrheit. Daraufhin wandte sich die U N-Abteilung für Friedenseinsätze hilfesuchend an die EU. Die beschloss im März 2006, eine militärische Eingreiftruppe zu entsenden. Nach einigem Zieren erklärte sich Deutschland bereit,
die Mission von gut 2200 Soldaten von Potsdam aus zu führen. Der Einsatz kam nicht durch strategische Überlegungen, sondern durch politische Nötigung
zustande und wurde in aller Hektik durchgezogen. Ein interner Bundeswehrbericht schilderte später als »drastisches Beispiel«
für mangelnde logistische Planung die überstürzte Aufstellung eines Containerlazaretts in Kinshasa. Das medizinische Hightech-Modul
wäre beinahe im Schlamm versunken, weil es an einem »völlig ungeeigneten Ort aufgebaut« werden sollte. Erst im letzten Moment
sei ein »To talschaden « verhindert worden. Die Wahlen im Kongo verliefen ohne größere Gewaltausbrüche, und ab Dezember flogen die E U-Soldaten wieder nach Hause. Bedeutend stabiler ist der Kongo dadurch allerdings nicht geworden. Und die Flüchtlingsströme übers Mittelmeer
sind seither keineswegs abgeflaut, sondern angeschwollen.
Ein weiteres, von der Öffentlichkeit längst vergessenes Beispiel dafür, wie wenig E U-Einsätze von E U-Interessen gesteuert sind, ist die EUFOR(European Union Force)-Operation im Tschad. Bis zu 3700 E U-Soldaten sollten dort Flüchtlinge aus dem Sudan beschützen. Gegen die Ursachen des Mordens und der Vertreibungen, die islamistischen
Reitermilizen, durften sie allerdings nicht vorgehen. Ein dafür notwendiges robustes Mandat überstieg den Minimalkonsens,
zu dem sich die E U-Führer durchringen konnten. Denn der Tschadeinsatz entsprang der Ambition vor allem eines Mannes.
Im Frühsommer 2007 gewann das Schicksal der Flüchtlinge von Darfur die Aufmerksamkeit von Prominenten aus aller Welt. Es gründeten
sich verschiedene Initiativen, die dazu aufriefen,den Vertreibungen ein Ende zu machen. Der Westen, forderten Hollywood-Größen von Mia Farrow bis George Clooney, müsse seiner
Verantwortung gerecht werden, einen Völkermord zu verhindern. In Frankreich herrschte zu dieser Zeit Wahlkampf, und ein menschenrechtsbewegter
Politaktivist schloss sich der Kampagne
Urgence Darfour
an. Wenige Wochen später wurde eben dieser Mann, Bernard Kouchner, vom neuen französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy zum
Außenminister ernannt. Kouchner verlor keine Zeit, Darfur auf die Tagesordnung des Europäischen Rates zu bringen. Eher zähneknirschend
denn aus Überzeugung stimmten dessen Mitglieder der Entsendung einer ESVP(Europä ische Verteidigungs- und Sicherheitspolitik)-Truppe zu – allerdings unter der Bedingung, dass sie nur eine »Brückenmission« bilden
sollte, bis die Vereinten Nationen oder die Organisation Afrikanischer Staaten ihre Schutztruppen in der Region verstärken
würden.
Eine für dieses Szenario eigentlich gut gerüstete Truppe wäre eine der beiden so genannten EU Battle Groups gewesen. Die multinationalen
Bereitschaftsverbände werden (jedenfalls theoretisch) von den E U-Staaten ständig vorgehalten und bestehen aus jeweils 1500 Soldaten, die innerhalb von 5 bis 10 Tagen verlegefähig sein sollen. Die Einsatztruppen dienen immer wieder als Beleg für die Fortschrittlichkeit europäischer
Verteidigungsintegration. Aber auch zu nichts anderem. Sie wurden bisher kein einziges Mal entsandt. Im Falle des Tschad konnten
sich die Mitgliedsstaaten schlicht nicht darauf einigen, wer die Kosten übernehmen sollte. Am Ende brachte Frankreich selbst
den Löwenanteil für die Mission auf (bis zu 2000 Soldaten), Großbritannien und Polen trugen im Wesentlichen den Rest bei. Der Hohe Beauftragte für Außenpolitik, Javier Solana,
versicherte, die E U-Mission werde »zweifelsfrei zur Lösung der Krise in Darfur beitragen«. Sie tat es in keiner Weise. Europas Soldaten beschützten
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