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So nicht, Europa!

Titel: So nicht, Europa! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Bittner
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breiterer Ebene nicht zu gefährden, ist freilich alles andere als zwingend. In anderen
     Bereichen, etwa beim Klimaschutz, lässt sich die EU genau vom umgekehrten Prinzip leiten. Wenn sie nicht als Vorreiterin vorangehe,
     würden andere niemals folgen, lautete die Rechtfertigung für die hoch gesteckten Klimaziele der Union. Die EU, mit anderen
     Worten, scheint nur eine Avantgarde der Weichheit sein zu wollen, nicht der Härte. Sie mag dies als fortschrittlich erachten.
     Andere Weltregionen tun dies nicht. Ein sanfter Ton, der nicht von Stärke hinterlegt ist, wird dort als Schwäche gedeutet.
     Iran hat längst Zeit gehabt, sich auf alternative Beschaffungsquellen einzurichten – seine Vertreter geben sich deshalb mittlerweile
     demonstrativ gelassen. »Wir sind gewöhnt, mit Sanktionen umzugehen«, kommentierte der iranische Vizeaußenminister Ali Ahani
     im Sommer 2010 die nachträglichen Peitschenhiebe der EU. »Die Sanktionspolitik hat nicht mehr die Wirkung, die sie einst hatte.« 82

Nie wieder Feind: Militärmacht Europa
    Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen; er wird hierbei in
     die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den
     Völkern der Welt herbeiführen und sichern.
    Grundgesetz Artikel 24, Abs. 2
     
    Es ist immer möglich, eine größere Menge von Menschen in Liebe aneinander zu binden, wenn nur andere für die Äußerung der
     Aggression übrig bleiben.
    Sigmund Freud
     
    Kann denn die EU Feinde haben? Wer das militärische Hauptquartier der Europäischen Union betritt, ist gleich zweifach erstaunt.
     Erstens darüber, dass es so etwas überhaupt gibt. Der Sitz des »EU Military Staff (EUMS)«, des Militärstabs der Europäischen
     Union, liegt nur ein paar Schritte von der Place Schuman entfernt, in einem unscheinbaren Gebäude in der Bürostraße Avenue
     de Cortenbergh. Zweitens staunt man über die Sicherheitssorgen der E U-Soldaten . Die Kontrollen am Eingang fallen strenger aus als am Empfangsschalter der Nato, jenes großen transatlantischen Konkurrenten
     draußen vor den Toren der Stadt. Freundliche Wachen bitten den Besucher nach einem ausführlichen Metalldetektorcheck, neben
     dem Handy auch seinen US B-Stick abzugeben. Alles, was senden kann, kann auch spionieren. Doch was könnte hier drin von Interesse sein für fremde Mächte?
    Der E U-Militärstab hat drei Hauptaufgaben. Er soll als Frühwarninstanz für drohende Konflikte dienen, die das Gebiet der EU betreffen könnten.
     Er soll Strategieplanung betreiben. Und er soll aktuelle sicherheitspolitische Lagen aus Soldatensicht beurteilen. Daneben
     dient er noch zu einem weiterreichenden Zweck. Hier, in der Avenue de Corthenberg, soll langsam aber sicher ein eigenes europäisches
     Führungskommando heranwachsen. Laut einem Beschluss der Mitgliedstaaten von 2005 wünschen sich Europas Staatschefs vom EUMS,
     die Europäische Union »in die Lage zu versetzen, ihre Verantwortungen für das volle Spektrum von Konfliktvermeidung und Krisenmanagement
     wahrzunehmen (…), einschließlich der Durchführung von EU-geführten militärischenKrisenmanagement-Operationen«. Was da mitten im zivilen Brüsseler Kommissionsdistrikt Unterschlupf gefunden hat, ist also
     nicht weniger als die Keimzelle einer potenziellen Militärweltmacht.
    Die EU verfügt mit 1,9   Millionen Soldaten über mehr Streitkräfte als die USA (1,5   Millionen), und zusammen bringen die Mitgliedstaaten fast ein Viertel der weltweiten Militärausgaben auf. Bis auf Weiteres
     müssen Europas fiktive Gegner allerdings nicht vor Angst zittern. Die Kraft des alten Kontinents ist heillos zersplittert.
     Sein statistisches Potenzial ist dividiert in 27   Oberkommandos, Heere und Luftwaffen sowie 22   Marinen. Zudem ist der Zuschnitt der Armeen veraltet. Aus Kalten-Kriegs-Kontingenten bringt Europa zwar noch immer Massen
     von Heeressoldaten, 10.000   Kampfpanzer und 2500   Jagdflieger auf – nicht aber genügend Transportflugzeuge mit großen Reichweiten und staubfeste Hubschrauber, um ihre Truppen
     in Krisengebiete an jeden Ort der Welt zu fliegen. Nur ein Fünftel aller europäischen Soldaten gilt derzeit als »in Einsatzgebiete
     verlegbar«. Der Militärairbus A400   M, ein ehrgeiziges Joint Venture eines europäischen Konsortiums, der dies ändern soll, war nach Jahren der Produktionsverzögerung
     2010 noch immer

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