So nicht, Europa!
vor
allem das zivile U N-Personal im Land. Die E U-Staaten sahen sich nicht einmal in der Lage, genügend Hubschrauber abzustellen, um das riesige Einsatzgebiet im Osten des Tschad
abzudecken. Am Ende fand sich Russland bereit, mit Helikoptern auszuhelfen.
In einem Resümee von zehn Jahren Europäischer Sicherheits- und Verteidigungspolitik kommt die Berliner Stiftung Wissenschaftund Politik (SWP) zu einem niederschmetternden Urteil. EVS P-Missionen , schreiben die Herausgeberinnen, kämen vielfach selbst dann zustande, wenn es deutliche Vorbehalte einzelner Länder gebe.
»Als Konsequenz wird das Mandat in der Regel so stark verengt, dass der Einsatz letztlich wenig zur Konfliktbearbeitung beitragen
kann oder der Erfolg der Operation insgesamt gefährdet ist. Zudem wird in solchen Fällen oft nicht genügend Personal zu Verfügung
gestellt – womit die E U-Staaten das Scheitern des Einsatzes billigend in Kauf nehmen.« 84
Der Grund dafür, dass die EU harte Sicherheitspolitik zu weich betreibt, ist aber nicht nur in den unterschiedlichen nationalen
Vorlieben oder innenpolitischen Moden ihrer einzelnen Länder zu suchen. Er ist auch kulturell bedingt. Die Kontinentaleuropäer
als Ganzes, ihre Regierungen und ihre Militärs pflegen ein gänzlich anderes Lebensgefühl als die Supermacht Amerika. Sie fühlten
sich in ihrer gesamten Geschichte noch nie so sehr im Frieden wie heute. Europa ist schlicht nicht bedroht. Deswegen fehlt
jede subjektive Dringlichkeit für den Einsatz von Soldaten. Amerika hingegen fühlt sich nicht nur im Krieg, es befindet sich
seit den al-Qaida-Terroranschlägen auf New York und Washington vom 11. September 2001 auch offiziell im Verteidigungszustand. Diese inneren wie äußeren Tatsachen prägen die unterschiedlichen Militärphilosophien
von Europäern und Amerikanern. Laut einer Umfrage des German Marshall Fund von 2007 glauben nur 32 Prozent aller Europäer, dass es Umstände geben könne, unter denen ein Krieg gerecht sei. In Amerika glauben dies 74 Prozent der Bevölkerung.
Was gut war für Europa, denken die Europäer – Versöhnung, Demokratie und Respekt vor Minderheiten –, kann doch für den Rest der Welt nicht schlecht sein. EU und USA pflegen deshalb gegenläufige Prioritätenlisten für militärische
Missionstypen. Die Präferenzen Washingtons lauten: erst eine Koalition der Willigen, dann die Nato und erst, wenn gar nichts
mehr geht, E U-Truppen . Die Europäer möchten es umgekehrt: wann immer möglich E U-Truppen , dann die Nato, und nur im Notfall freie Koalitionen unter U S-Führung . Nach dem Ost-West-Konflikt zeichnet sich, jedenfalls in Hinsicht auf die taktischen Kulturen, ein West-West-Konflikt ab.
Wo Europa eingreift, wandeln sich seine Soldaten, Polizisten und Richter konsequenterweise zu Nannys für schwer erziehbareClanchefs oder heruntergekommene Regierungen. All diese Probleme hofft Europa gleichsam homöopathisch behandeln zu können.
An lediglich fünf der 23 bisherigen EVS P-Einsätze waren mehr als 1000 Einsatzkräfte beteiligt. Neun zivile Missionen setzten sich sogar aus weniger als 100 europäischen Friedensbringern zusammen.
Eine gewichtige Ausnahme ist die See-Operation ›Atalanta‹ am Horn von Afrika, wo seit 2009 unter E U-Flagge über ein Dutzend Schiffe aus Spanien, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Italien und Schweden Piraterie bekämpfen. Der
Schifffahrtskorridor zwischen Arabien und Afrika ist die Achilles-Ferse des Welthandels. Etwa 90 Prozent des globalen Warenverkehrs quetschen sich durch die Meerenge. Ein einziges Containerschiff kann heute Ladungswerte
von einer Milliarde Dollar an Bord haben. Selbstredend, dass es für eine Weltwirtschaftsmacht wie die EU von vitalem Interesse
ist, solche Handelswege zu schützen.
So zaghaft sich Europas Truppen auch noch bewegen mögen – langsam aber sicher streifen die E U-Staaten mit derartigen Missionen den Schutzmantel der Nato ab. Er hat Europa 50 Jahre lang gewärmt. Aber mittlerweile zwickt er auch. Mehr noch: Der Markenname ist belastet, seit der Hauptverbündete Amerika
den Irakkrieg lostrat, Guantánamo eröffnete und in Abu Ghraib Gefangene folterte. Nato-Truppen in muslimische Länder oder
auch nur in ihr Umfeld zu schicken, erscheint vielen europäischen Politikern seitdem undenkbar. Unter eigenem Label unterwegs
zu sein, eröffnet europäischen Soldaten mehr Manövrierraum. Doch die Frage, ob die EU
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