So nicht, Europa!
nicht ausgeliefert.
Zu prominenten Anlässen malen europäische Spitzenpolitiker unverdrossen fantastischste Zukunftsbilder von der Supersoftpower
Europa. Kurz vor der 5 0-Jahrfeier der EU plädierte Angela Merkel für eine »E U-Armee «. Die europäischen Sozialdemokraten fordern sie schon lange. Auch in militärischen Kreisen ist die Integration europäischer
Armeen kein Tabu mehr. Zwar wissen die soldatischen Planer, dass es selbst bei gutem Willen Jahrzehnte dauern würde, um eine
Parlamentsarmee wie die deutsche und eine auf den Präsidenten zentrierte Atommacht mit Sitz im Weltsicherheitsrat wie die
Franzosen unter ein gemeinsames Kommando zu stellen. Doch auch sie halten das hohe Ziel nicht mehr für irreal.
Immerhin gibt es eine geopolitische Marktlücke, in welche die EU springen könnte. Weltweit steigt die Nachfrage nach Konfliktmanagement;
sei es an den Rändern Russlands, im Herzen Afrikas oder auf den Schifffahrtswegen der Meere. Gleichzeitig fallen die traditionellen
Sicherheitsdienstleister immer öfter aus. Die Vereinten Nationen? Haben sich als chaotisch erwiesen.Die Vereinigten Staaten? Gelten als brutal. Bleibt das Vereinte Europa. Die Nische für die Europäer hieße: weiche Sicherheit,
hart durchgesetzt.
Die Strukturen und Institutionen der gemeinsamen Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) wurden 1999 ins
Leben gerufen. Seither ist einiges passiert, was Europas Kraft als Sicherheitsakteur gestärkt hat. Aber es ist längst nicht
genug. Die Entwicklung reicht gerade aus, um schwach eine Richtung erkennen zu lassen. Die EU will sich, und sei es auch manchmal
nur unbewusst, emanzipieren vom Nato-Übervater Amerika. Sie weiß bloß noch nicht, ob sie sich wirklich traut,
hard power
auszubilden und auszuüben. Die militärischen Muskeln zu stärken, erscheint als ein Widerspruch zur Gründungsphilosophie der
Union. Nicht das Recht des Stärkeren soll zwischen den Völkern herrschen, sondern die Stärke des Rechts. Der Staatenverbund
EU liefert außerdem den Beweis dafür, dass es möglich ist, Gegner nicht durch Einschüchterung und Abschreckung unter Kontrolle
zu bringen, sondern durch Einbindung und Umarmung. Als Robert Schuman am 9. Mai 1950 vorschlug, »die Gesamtheit der französisch-deutschen Stahl- und Kohleprodukion unter eine gemeinsame Oberste Aufsichtsbehörde
zu stellen«, ging es ihm zum einen darum, die Versorgung Frankreichs mit deutscher Kohle zu sichern. Zum anderen wollte er
aber auch Deutschland in einen Klammergriff der Partnerschaft nehmen, um auf diese Weise »den Grundstein einer europäischen
Föderation [zu] bilden, die zur Bewahrung des Friedens unerlässlich ist«.
Europas Stärke, versichern viele seiner Sicherheitsdenker, sei gerade seine Sanftheit. Doch so unwahrscheinlich ein Krieg
im Inneren Europas auch geworden sein mag, so naiv wäre es, davon auszugehen, dass Europa nicht irgendwann einmal dazu gezwungen
sein könnte, Stärke nach außen zu demonstrieren. So »grenzenlos« Europa inzwischen geworden sein mag – seine Verteidigungspolitik
ist es noch lange nicht. Die Staaten der EU rüsten sich lieber individuell für Schlachten nach dem überkommenen Bild des territorialen
Verteidigungskrieges, als gemeinsame, wohlverstandene Sicherheitsinteressen zu formulieren und sich als vereinte Kraft aufzustellen.
Während es in den Vereinigten Staaten im Jahr 2008 ganze 27 militärische Forschungsprojekte gab, waren es in der EU 89. »Allein
bei den gepanzerten Fahrzeugen gibt es in Europa 23 Typen, Europa unterhält nach wie vor16 Marinewerften, während die USA mit nur 3 auskommen und natürlich weit effizienter operieren«, zählt Wolfgang Ischinger, der
Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, auf. »Nahezu 80 Prozent der jeweiligen nationalen Rüstungsbugets werden auch heute noch von nationalen Auftragnehmern abgerufen.« 83 Die europäischen Staaten, bedeutet das, betreiben lieber getrennte Waffenschmieden als Gemeinschafts-Know-how zu entwickeln.
»Europa«, warnt der Präsident der Berliner Bundesakademie für Sicherheitspolitik, Kersten Lahl, »muss jetzt seine Hausaufgaben
machen. Es wird in der globalen Welt nur dann eine Rolle spielen, wenn wir auf allen Gebieten handlungsfähig sind. Das bedeutet
vor allem die Verbesserung von Fähigkeiten, damit es als ernst zu nehmender Partner der USA auch seine eigenen, europäischen
Interessen umsetzen kann.« Abgesehen davon
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