So nicht, Europa!
wäre es ein Gebot der ökonomischen Vernunft, Europas Armeen auf eine notwendige
Gesamtstärke von Truppen abzuschmelzen. 200 Milliarden Euro könnten die E U-Haushalte nach Schätzung von Experten langfristig einsparen, wenn überflüssige Doppel- und Dreifachkapazitäten in den nationalen Arsenalen
abgebaut würden. Der amerikanische Verteidigungsfachmann Michael O’Han lon rechnet vor, dass die E U-Staaten , wenn sie nur zehn Prozent ihrer Militäretats für die Anschaffung von fehlenden Rüstungsgütern wie Langstreckenflugzeuge,
Frachtschiffe, Drohnen und präzise Lenkwaffen zusammenlegen würden, binnen eines Jahrzehntes in der Lage wären, bis zu 200.000
speziell qualifizierte Eingreifsoldaten in alle Welt zu schicken. Diese Transformation könnte gegenfinanziert werden durch
eine Verringerung der konventionellen Truppen um ein Viertel.
Doch statt die Fähigkeiten der E U-Staaten intelligent zu verzahnen, bleibt die militärische Beschaffung in Europa ein geradezu absurd nationales Geschäft. Nick Witney,
der bis 2008 die Europäische Verteidigungsagentur leitete (sie wurde 2005 ins Leben gerufen, um Rüstungsvorhaben zu koordinieren)
und die Milliarden-Sparmöglichkeiten auflistete, stellt frustriert fest, dass »die Mitgliedstaaten wenig getan haben, um diesem
Ziel näher zu kommen«. Mehr als einmal hat der Brite erleben müssen, wie Europas Verteidigungsministerien munter Waffensysteme
nur für ihr Land entwickeln und die Kooperation untereinander an nationalen Eitelkeiten scheitern ließen. Im Durchschnitt
werden nur 12 Prozent aller nationalstaatlichen Rüstungsprojekte europaweitausgeschrieben. Die Bundesregierung steht dabei ganz weit hinten. Sie stellt nur 2 Prozent der Beschaffung für die Bundeswehr in den europäischen Wettbewerb. In Frankreich beträgt die Ausschreibungsquote immerhin
20 Prozent.
Allmählich, fordert das Europaparlament, müsse Schluss sein mit den Ausflüchten in vermeintliche »nationale Sicherheitsinteressen«.
Diese führen die Nationalstaaten immer wieder scheinheilig an, wenn es in Wirklichkeit darum geht, der eigenen Waffenindustrie
Aufträge zu sichern. Rüstungsaufträge, so will es eine Richtlinie, die das Europäische Parlament im Januar 2009 verabschiedete,
sollen künftig nur noch vergeben werden können, wenn zuvor eine europaweite Ausschreibung stattgefunden hat. Langfristig könnten
sich die Deutschen dann daran gewöhnen müssen, dass ihre Soldaten in Afghanistan nicht mehr in Mercedes-Jeeps durchs Gebirge
fahren, sondern in Renault-Geländewagen. Andererseits könnte das britische Militär auf Daimler-Laster umstellen. Ein solcher
Wettbewerb könnte neben Geldersparnis einen weiteren Effekt haben. Europa könnte die Dominanz Amerikas auf dem transatlantischen
Militärbasar reduzieren. Die USA haben einen Anteil von 48 Prozent am europäischen Rüstungsmarkt. Umgekehrt tragen E U-Hersteller nur einen Anteil von 2 Prozent zur amerikanischen Militärbeschaffung bei.
Jenseits der Sonntagsreden zeigen sich Europas Staatsführer jedoch nach wie vor zögerlich, wenn es darum geht, mehr Synergien
herzustellen und die EU zu größerer militärischer Eigenständigkeit aufzupäppeln. Äußerst vorsichtig wagten sie sich in ihrem
Gipfelbeschluss 2005 an die konkreten Aufgaben für den E U-Militär stab heran. Allenfalls dann, wenn sich partout kein Nationalstaat findet, der eine Militärmission führen könnte, soll die E U-Ebe ne einspringen. Der EUMS solle, formulierten die Staatschefs, »die Fähigkeit entwickeln, eine autonome E U-Militäroperation zu planen und zu führen«. Er solle dafür »die Fähigkeit vorhalten, schnell eine Operationszentrale für eine bestimmte Operation
aufzubauen«, für den Fall, dass zur Einsatzführung »kein nationales Hauptquartier ausersehen ist«.
Genau dieser Fall ist aber nicht in Sicht. Die E U-Missionen in aller Welt werden noch immer von nationalen Befehlsständen aus geführt. Die Artemis-Mission 2003 zur Wahlsicherung im
Kongo etwa wurde vom französischen Nationalhauptquartier in Mont Valérien dirigiert, die Nachfolgemission EUFOR 2006 vom deutschenEinsatzführungskommando in Potsdam. Für die Bosnienoperation Althea bedient sich die EU der Kommandostruktur der Nato. Sie
alle »leihen« für diese Zwecke der EU Personal und Technik. Die Nationen, kurzum, scheuen sich, echte militärische Vollmachten
nach Brüssel abzugeben.
Die Kluft zwischen Wunsch
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