So schoen und kalt und tot
möchten Sie ganz bestimmt nicht quälen“, versicherte Ian erschrocken. „Bitte verzeihen Sie uns. Natürlich gibt es keine Verbindung zu Mrs. Mansfield, auch wenn die Ähnlichkeit zwischen diesen Vorfällen doch ziemlich groß ist. Möchten Sie etwas trinken?“, versuchte der Laird, das Thema zu wechseln.
Melanie schüttelte den Kopf. „Wenn Sie erlauben würde ich mich gern etwas hinlegen. Der Weg nach Glannagan und zurück war weiter als ich gedacht habe, und ich hatte die falschen Schuhe an“, fügte sie etwas verlegen hinzu.
„Wir können Ihnen etwas zu essen nach oben bringen lassen.“ Angela war, wie immer, die Praktischere. „Sicher haben Sie etwas Appetit mitgebracht von Ihrem kleinen Ausflug.“
„Danke, nein“, lehnte Melanie müde aber entschieden ab. „Um diese Zeit esse ich selten etwas. Ich werde dann nach oben gehen, wenn Sie erlauben.“
Natürlich hatten weder Angela noch Ian etwas dagegen. Also erhob sich Melanie und verließ eilig das schöne Zimmer, in dem sie sich von Anfang an wohl gefühlt hatte. Auch die Gesellschaft von Laird und Lady McGregor war ihr angenehm. Zwar hatten beide sie offensichtlich ausgefragt, doch sie hatte gern Auskunft gegeben. Dass es keine reine Neugierde war, hatte sie gleich gespürt.
In ihrem Zimmer angekommen machte sie beide Fensterflügel weit auf, denn sie hatte auf einmal das Gefühl, viel Luft zu brauchen, um nicht ersticken zu müssen. Die Erinnerung an die Verluste der letzten Jahre, die fast ihre gesamte Familie dahingerafft hatten, machte ihr mit einem Mal wieder sehr zu schaffen.
Sie warf sich angezogen aufs Bett und versuchte, an etwas anderes zu denken. Dennoch konnte sie nicht verhindern, dass längst vergessene Tränen plötzlich wieder über ihr Gesicht liefen. Aller Schmerz war wieder da, als sie sich an die Gesichter von Mutter, Vater und Stiefmutter erinnerte, die so lebendig in ihrem Herzen waren, als würden sie noch leben.
Melanie schloss die Augen. Sie merkte nicht, wie sie langsam in eine Traumwelt abglitt, die sie sanft umfing und ihre traurigen Gedanken einfach wegwischte. Ihre Arme lagen entspannt neben ihrem Körper, und die dünne Decke hatte sie bis zur Hüfte hochgezogen.
Ein kühler Hauch ließ sie zusammenfahren. Ganz deutlich hatte sie es an ihrer rechten Hand gespürt. Sie musste ihre ganze Kraft zusammen nehmen um die Augen zu öffnen. Langsam drehte sie den Kopf zur Seite. Und dann sah sie ihn, den weißen Hund. Mit hoch aufgerichtetem Oberkörper saß er an ihrem Bett und schaute sie aufmerksam an.
Melanie hatte das Gefühl, noch immer zu träumen, denn das konnte nicht Wirklichkeit sein. Dieser Hund war tot, das wusste sie ganz genau. Sie hatte ihn selbst neben der toten Frau auf dem Zugboden liegen sehen. Sein weißes Fell war voller Blut gewesen.
Dieses Tier war ganz sauber – und es lebte, sonst könnte es nicht an ihrem Bett sitzen und sie mit starrem Blick mustern.
„Countess?“
Der Hund hob die Nase in die Luft und stieß einen leisen Laut aus, der wie ein unterdrücktes Schluchzen klang. Ein Vibrieren lief durch den massigen Körper.
Mit einem Schlag war Melanie hellwach. Sie wollte aufspringen, doch ihr Körper gehorchte ihr nicht. Wie festgebunden lag sie da und konnte nur den Hund anstarren, dessen große dunkelblaue Augen sie ernst anschauten.
Zum geöffneten Fenster drang kühler Wind herein, dunkle Wolken jagten über den Nachmittagshimmel. Ein erster Blitz zerschnitt das düstere Bild und erhellte die Umgebung für einen Moment mit seinem gleißendem Licht.
Endlich gelang es der jungen Frau, sich ein wenig zu bewegen. Vorsichtig streckte sie die Hand nach dem Tier aus, das sie noch immer unbeweglich musterte. Es war ein angenehmes Gefühl, als sie das kühle, seidige Fell zwischen ihren Fingern spürte.
„Countess, du bist zurück gekommen. Willst du mir was sagen? Wenn ich nur deine Gedanken verstehen könnte.“ Mit größter Kraftanstrengung gelang es Melanie, sich ein wenig zu dem Tier umzudrehen, damit sie es besser anschauen konnte. Sie versuchte, in den großen ernsten Augen zu lesen, aber sie konnte nichts anderes entdecken als grenzenlose Traurigkeit.
Die junge Frau begann zu schluchzen. Alle Verzweiflung schlug in diesem Moment über ihr zusammen, während sie noch immer den großen Hund streichelte, der eigentlich gar nicht da sein durfte. Es ging etwas Tröstliches aus von dem Tier,
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