So schoen und kalt und tot
beharrte sie und wirkte dabei entsetzlich abwesend.
„Wie meinst du das?“
Das Mädchen schüttelte den Kopf. „Es ist so“, sagte es nur, dann betraten sie das Zimmer. „Schlaf gut, Mel. Und vergiss nicht, egal, was passiert, ich hab dich sehr lieb. Immer und ewig.“
Ein Ernst lag in ihrer Stimme, der Melanie Tränen in die Augen trieb. „Ich hab dich auch sehr lieb, Schwesterchen.“ Überschwänglich nahm sie das Mädchen in die Arme und hatte den starken Drang, sie nie wieder los zu lassen und immer zu beschützen.
„Schlaf gut, Mel.“ Sanft machte sich Alanis nach einer Weile los. „Heute werden wir eine ruhige Nacht haben.“ Sie verschwand im angrenzenden Zimmer und machte die Verbindungstüre halb zu. Auch Melanie war mit einem mal so müde, dass sie kaum mehr die Augen offen halten konnte. Wie ein Stein fiel sie ins Bett, nachdem sie sich gewaschen und für die Nacht gerichtet hatte. Wenig später war sie eingeschlafen.
Auch Daisy Stevenson spürte diese unnatürliche Müdigkeit, die sie lähmte. Sie schob es auf ihren Zustand, denn die Schwangerschaft machte ihr seit Wochen sehr zu schaffen. Thomas, der eigentlich längst hätte hier sein sollen, hatte seine Reise noch einmal aufschieben müssen, weil ein schwieriger Fall sich mehr in die Länge zog, als er berechnet hatte.
So blieb Daisy nichts anderes übrig als sich mit den Gegebenheiten abzufinden. Das Wichtigste war jetzt das Kind, das sie unter dem Herzen trug und um dessen Leben sie jeden Morgen aufs Neue bangte. Warum sie diese unerklärlichen Ängste in sich hatte, wusste sie nicht. Aber sie waren da, und sie wurden größer und größer. Manchmal dachte sie sogar, dass es ein Fehler gewesen war, nach Rochester Castle zu kommen.
Seufzend setzte sie Fever auf ihr Bett und ging dann zum Waschbecken, um sich für die Nacht zu richten. Ein müdes Gesicht schaute ihr aus dem nicht mehr ganz klaren Spiegel entgegen.
„Wie hast du dich verändert, Daisy“, sagte sie zu sich selbst und schnitt sich eine Grimasse. Dann löste sie das Band aus ihren Haaren, um sie zu bürsten. Dunkel glänzend fiel die schimmernde Pracht in weichen Wellen bis über ihre Schultern.
Eigentlich hätte Daisy mit ihrem Aussehen zufrieden sein können, wenn da nicht der traurige Zug um ihre Mundwinkel gewesen wäre. Woher er kam wusste sie nicht, denn es gab keinen Grund zur Traurigkeit, und eigentlich sah sie ihn heute Abend zum ersten Mal.
Unbehagen breitete sich in ihr aus. Sie ging etwas dichter an den Spiegel heran, um sich genauer betrachten zu können. In diesem Moment entdeckte sie den dunklen Schatten unmittelbar hinter sich.
Mit einem Aufschrei fuhr sie herum. Der Schatten war verschwunden, doch der schwere Vorhang auf der gegenüberliegenden Seite des Zimmers bewegte sich noch leicht. Also war tatsächlich jemand im Raum gewesen.
Zitternd lehnte sich Daisy an die kühle Wand, jeden Augenblick bereit, einen möglichen Angreifer abzuwehren. Aber sie sah niemanden.
Nach einer Weile hatte sie sich soweit gefasst, dass sie sich zum geöffneten Fenster wagte und hinausschaute. Draußen war es stockdunkel, und ein möglicher Einbrecher hätte jetzt gute Gelegenheit gehabt, unbemerkt über die Mauer im dichten Park zu verschwinden.
Hastig machte Daisy das Fenster wieder zu, wusste nicht, was sie tun sollte. Selbst ihr Bruder Ian würde nichts unternehmen können. Die Nacht war sein Gegner, sie verschluckte jedes Lebewesen.
Noch immer am ganzen Körper bebend verkroch Daisy sich in ihr Bett. Ihr Herz klopfte laut und unregelmäßig, und das Kind in ihrem Leib hatte sich offensichtlich ebenfalls sehr erschreckt, denn es stieß immer wieder wild gegen ihre Bauchdecke.
Beruhigend legte Daisy beide Handflächen auf ihren Leib. Doch es dauerte noch sehr lange, bis sie keine Bewegungen mehr spürte. Vermutlich war das kleine, ungeborene Wesen endlich eingeschlafen.
Ein sanftes Lächeln lag auf ihren Lippen, als sie sich vorstellte, wie es sein würde, wenn sie endlich ihr Kind im Arm halten durfte. Sie konnte den Tag kaum mehr erwarten, an dem es soweit war.
Doch darüber durfte sie jetzt nicht mehr nachdenken, denn sie brauchte ihren Schlaf, das hatte der Arzt ihr ernst aufgetragen. Also schloss sie die Augen und versuchte, an nichts mehr zu denken, was ihr auch ganz gut gelang. Nur die Angst vor einem drohenden Unheil, die Furcht vor etwas Dunklem, Drohenden, das
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