So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)
Papa fährt Rollstuhl, Papa muss PSA-Wert, Papa wird blind und hat ’ne Erscheinung. Was für ein Horror! Wie viel Kraft das gekostet hat, weil man seine Eltern doch auch mal in Freude sehen wollte, aber nix da: Nur hoffnungslose Trauerscheiße war das.
Und dann noch Mama mit ihren Nummern, hier ein Sturz, da vom Stuhl gefallen, wehleidig und immer schön nach dem Kind geschaut: Bist du auch richtig gekämmt, hast du auch die Hose an? Und die andere Seite der Familie: Noch mehr Beten und Kirche geht ja kaum. Manischer Glauben, Angstmaschinen. Und auch da nur Warnungen und Krankenangst …
Ich hab’s so satt! Ich habe diese kleinbürgerliche Mischpoche so satt! Die sollen ihre Trauer für sich behalten. Ihre Depressionen nach innen kotzen. Ich will das nicht. Ich muss alleine sein. Ich muss irgendwie rummachen, bis ich nicht mehr kann. Und ich muss mich besaufen. Ich muss mich aus dem Fenster stürzen. Muss mein Geld verkloppen. Das wäre die wahre Antwort auf meinen Kern. Ich will keine Liebe oder Zuneigung mehr. Das Ende der Fahnenstange ist erreicht. Ich bin nicht bereit, das hier zu akzeptieren. Ist kein Selbstmitleid, wie Aino meint. Nein, ist es nicht! Ich bin schon lange tot. Und jetzt bin ich noch töter.
Gott ist nicht da. Es ist alles ganz tot. Es ist alles ganz kalt.
Krebsgeschwür wird entdeckt. Was nun? Patient weigert sich, will nicht operiert werden. Elektrischer Stuhl wird vorgezogen. Warum gibt’s eigentlich keine Guillotine für zu Hause? Whisky-Pulle rein, Tabletten rein, Kopf rein – das Seil zu ziehen schafft man ja hoffentlich noch.
Ach, ich bin leer, ich bin tot, ich bin aus. Flamme aus. Vorher aber noch die große Erleuchtung. Jesus hat sich mir, Christoph Schlingensief, in der Kapelle gezeigt, indem er mich verstummen ließ, und plötzlich wurde alles warm. Ja, super, du Leidensbeauftragter! Das war ein schönes Erlebnis, kann ich nicht abstreiten. Hat mir was gebracht. Fand ich schön. Aber Jesus ist trotzdem nicht da. Und Gott ist auch nicht da. Und Mutter Maria ist auch nicht da. Es ist alles ganz kalt. Es ist keiner mehr da.Alles ist tot. Und es ist gut so, dass es so ist. Ich will wenigstens einmal ganz alleine sein. Ich habe das Recht dazu! Das Recht habe ich! Alleine sein …
Ich bin aggressiv, aber eigentlich bin ich tot. Heute Abend könnte ich wirklich mit einem Knüppel durch die Stadt laufen und alles kurz und klein schlagen. Ich bin so beleidigt, so dermaßen beleidigt und verletzt von diesem Ding. Mit 47 Jahren. Ist echt eine unglaubliche Beleidigung!
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Sonntag, 27. Januar
Wenn ich mir meinen Tod als Bild vorstelle, sehe ich mich eigentlich immer auf der Bühne, während ich den eigenen Tod als Stück inszeniere: Einer sitzt in seinem Stuhl, die Sterne sind zum Greifen nah, es zirpt, es ist heiß, und er stirbt. Das ist alles, kein religiöses Brimborium, es dauert eine Stunde oder zwei, das Publikum weiß nicht, was das soll, viele machen sich schon vor dem Ende auf den Weg nach Hause, und trotzdem: Das ist im Moment für mich das schönste Bild überhaupt. Zurzeit habe ich am meisten Angst davor, nicht im eigenen Bild sterben zu dürfen, irgendwelchen Fremdbildern ausgeliefert zu werden. Man will als Lebender eben immer noch Herr der Situation bleiben und sagen: Die Musik läuft, solange wie ich will, und wenn sie ausgeht, bin ich tot. Dann habe ich einen schönen Tod gehabt, und das war’s dann.
Wobei diese Vorstellung vom Sterben durch den Tod meines Vaters gehörig ins Wanken gekommen ist. Mein Vater kam irgendwann vom Klo und sagte: »Ich sterbe jetzt.« Das war super, klappte aber nicht: Gestorben ist er erst vier Wochen später. Er hat nach der Musik, nach dem Abspann des Films einfach noch weitergeatmet, er war einfach noch vier Wochen länger da. Da habe ich kapieren müssen, dass das Sterben anders funktioniert, ohne großen Schlussakkord. Und trotzdem ist er glücklich gestorben, das muss ich echt sagen.
Gestern ging ja gar nix mehr. Da war ich schon nicht mehr da, da war ich auf der Flucht. Ist wahrscheinlich blöd, aber ich fühle mich von diesem Ding in meinem Körper gerade extrem beleidigt und massiv bedroht.Aber vielleicht komme ich ja wieder in eine gute Phase. Neben allem Weinen hatte ich zum Beispiel am Donnerstag eine gute Phase, habe philosophiert, rumgequatscht und die Welt erklärt. Irgendwie kam ich mir berufen vor, wollte neue Gedanken denken und neue Erlebnisse wagen. Und am Freitag fand dann dieses Hardcore-Gespräch mit
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