So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)
Professor Kaiser statt, da kam der Holzhammer: »Sie können rumspinnen, wie Sie wollen – das wird alles nix«, sagte er. »Afrika geht nicht, Sprechen geht vielleicht auch nicht mehr so gut.«
Dieses Gefühl, so radikal meiner Freiheit beraubt zu sein, habe ich noch nie gespürt. Ich habe immer die Freiheit gehabt, die Welt zu zitieren, über die Welt zu weinen, sie lächerlich zu machen oder auch einfach nur langweilig zu finden. Und ich habe diese Freiheiten ja auch genutzt bis zum Abwinken. Jetzt geht das eben nicht mehr, und das macht Angst.
Vor allem habe ich Angst vor dem Moment, wenn ich nach der OP aufwache und alle um mich herumstehen und gucken. Wahrscheinlich ist mir dann alles scheißegal, weil es nur darum geht, Luft zu schnappen und irgendwie über die nächste Runde zu kommen. Aber ich frage mich, was das für ein Blick sein wird, wenn die Leute einen dann anstarren. Da werde ich in deren Blicken die Wahrheit sehen, die Wahrheit, dass der selbstherrliche, unsterbliche Typ da reduziert ist auf das, was kurz vor Asche ist. Und das macht mir Angst, weil ich diesen Einbruch des Realen ja noch nie erlebt habe, weil es ja keine Fiktion mehr ist, kein Schauspiel, bei dem ich den Zuschauern einen Herzinfarkt vorspiele.
Hier spricht Dr. Tumor!
Ich muss da jemanden finden, der mich in dieser Angst begleitet, weil ich glaube, dass ich das alleine nicht schaffe. Vielleicht helfen mir auch diese komischen Texte von Joseph Beuys. Ich lese gerade ein Buch mit Interviews. Dort sagt er zum Beispiel, für ihn gebe es keine Krankheit, es sei alles in einem Prozess.Vielleicht schaffe ich es ja irgendwann, in dieser Dimension zu denken. Aber ich finde es auch normal, dass mich der Pessimismus schüttelt und mir sagen will: Hey, du weißt aber schon, dass es da in einem halben Jahr wieder einen Knubbel gibt, dass da noch einmal ein Messer ranmuss oder noch einmal eine Chemo kommt? Du weißt schon, dass das ein komplett neuer Lebenshaushalt wird, nicht wahr? Meine Angst ist ja, dass ich da demnächst nur noch als Hutzelmännchen am Stock rumhüpfe. Bis jetzt war alles irgendwie möglich. Jetzt nicht mehr.
Aber es gibt ja keine andere Chance. Das mit der OP ist richtig. Raus damit! Dann kommt die nächste Welle, und dann lernen wir surfen oder was weiß ich was.Wenn ich aufwache, dann dreht sich die Welt andersherum. Dafür werde ich schon sorgen. Und denken kann ich ja dann auch noch, Gesprächspartner gibt’s genug, und Gedanken gibt’s sowieso genug.Vor allem gilt es jetzt, die Gedanken zu schärfen.
Ja genau! Hier spricht Dr. Tumor! Wenn ich jetzt Jonathan Meese wäre, hätte ich wahrscheinlich schon 280 000-Quadratmeter-Räume mit Dr.-Erzgott-Tumorkaiser-Pneumosoundso gemalt. Das wäre alles schon verarbeitet. Heute habe ich irgendwo gelesen, dass es ein neues Buch von Rüdiger Safranski gibt, ein Buch über die Romantik, in dem es auch um die Romantiker der Gegenwart geht. Die würden thematisch wichtige Positionen der Romantik verkörpern, aber hätten sie nicht wirklich erlebt. So würde ich es mal vereinfacht wiedergeben. Und weil er Meese und mich als Beispiel genannt hat, habe ich mir überlegt, dass ich Safranski in ein paar Wochen schreibe und ihm berichten werde: Meine Form von Romantik ist so was von authentisch geworden, da können Sie aber nur von träumen. Da schreib ich Ihnen einen Aufsatz drüber.
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Montag, 28. Januar
Morgen früh werde ich also operiert. Ich habe gerade Full House hier, wir halten eine kleine Versammlung ab, bevor ich unters Messer muss. Aino ist da, die Claudia, der Carl und die Meika.
Professor Kaiser war auch schon da. Ich hatte mit ihm ja so ein schreckliches, unpersönliches Gespräch. Ging nur um Messer hier, Messer da. Da fragt man sich: Will er mich operieren oder will er mich schlachten? Daraufhin habe ich beschlossen, ich geh nach Hause und schieß mir eine Kugel in den Kopf. Da habe ich aber keine Pistole gefunden. Und dann wollte ich vom Tisch springen, aber der war zu niedrig. Und dann habe ich beschlossen, ich geh nach Afrika und verschwinde. Das ging dann auch nicht.
Stattdessen habe ich mir das Telefonbuch geschnappt und die Privatnummer vom Kaiser rausgesucht. Habe ihn gleich erwischt und gesagt: »Hallo, hier ist Schlingensief. Ich muss Sie noch einmal sprechen, weil ich nach unserem Gespräch so Schiss bekommen habe. Ich habe mich ja für Sie entschieden, aber ich verstehe gerade die Welt nicht mehr. Ich müsste vor der OP unbedingt noch
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