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So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)

So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition)

Titel: So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!: Tagebuch einer Krebserkrankung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Schlingensief
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wieder zurück in die Statik des Systems.
    Da ist es doch besser zu sagen: Es gibt keine Krankheit. Ich will das als Zustand betrachten, als Zustand, der ein bisschen unerfreulich ist, weil ich blöde Schmerzen haben werde und ich mich nicht mehr so leicht kratzen kann. Aber es gibt keine Krankheit. Schluss! Ist einfach ein Unfall. So als wäre ich bei einem Ritterspiel in eine Lanze gerast. Aber das ist natürlich auch nur eine Hilfskonstruktion.
    Na ja, dann atme ich jetzt noch mal mit beiden Lungenflügeln und lass mir da morgen den Dreck rausnehmen. Bis dann.

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    Mittwoch, 30. Januar
    So, da bin ich wieder. Die Operation fand gestern Morgen statt, hat vier oder fünf Stunden gedauert, ich weiß es nicht genau. Das Einschlafen war jedenfalls wunderbar. Supernette Leute, die sich um einen kümmern. Und dann schläfst du einfach ein. Merkst absolut nix. Es wird dir nur warm, ein bisschen flimmerig – und weg bist du. Beim Wachwerden habe ich wohl gemurmelt, Aino solle das Handy ausmachen und stattdessen einen Knopf ins Ohr tun, wir bräuchten Kontakt. Wir bräuchten eine Knopfverbindung, was aber keiner wissen dürfe. Eine der Krankenschwestern fragte mich später, ob meine Freundin Knopf hieße, weil ich im Halbschlaf immer wieder gefragt hätte, wo denn mein Knopf sei.
    Im Laufe des Tages war ich dann zumindest bei halber Besinnung. Martin war da, Aino war da, und wohl noch viele andere Leute, die sehen wollten, wie es mir geht. Ich habe das alles nicht richtig mitgekriegt. Am Abend habe ich dann gemerkt, dass meine linke Brust so komisch hart ist, irgendwie merkwürdig. Im Arm habe ich einen Katheter mit ungefähr sechs Anschlüssen. Damit können sie zum Beispiel eine Kanüle bis kurz vor das Herz führen und gucken, ob da zu viel Wasser ist. Außerdem gibt es noch einen Schlauch im Rücken. An der Flüssigkeit, die da herausläuft, erkennt man, wie viel es blutet. Aber ich hatte wohl einen sehr geringen Blutverlust.
    Überhaupt ist die Operation sensationell abgelaufen. Ich habe zwar Schmerzen am Rücken, wenn ich mich bewege. Ich kann auch nur schwer abhusten. Aber das ist normal. Von Professor Kaiser wurde ich darüber informiert, dass er ein Stück vom Zwerchfell wegnehmen musste, weil da auch Befall war. Und dass sie mir doch zwei Lungenlappen entfernen mussten. Die linke Lungenhälfte ist jetzt also weg. Gestern hatte ich das alles noch nicht richtig realisiert, war aber trotzdem stolz, dass die Sache stattgefunden hat. Ich war echt superstolz.

    Aber als Aino gegangen war, verschwand langsam die Freude darüber, dass ich es geschafft hatte. Stattdessen kamen erneut die Bedenken, und ich musste mit meiner Wut und meiner Angst kämpfen, bekam auch richtig Panik, weil ich so komisch geatmet habe.
    Und dann ist im Laufe der Nacht etwas ganz Merkwürdiges passiert. Ich habe plötzlich nebenan ein Kind schreien gehört. Ganz laut. Und ich habe gedacht, o Gott, das Kind stirbt, dem geht’s auch so dreckig, das ist auch so traurig und verlassen und braucht Liebe. Ich habe gesagt, dann lasst doch das Kind leben und lasst mich sterben. Aber nicht pathetisch, sondern wirklich. Das war ganz ernsthaft dieses Gefühl.
    Kaum hatte ich das ausgesprochen, schlug meine elektronische Superanlage Alarm, die alle Werte misst, Blutdruck, Puls und Sauerstoffgehalt. Und in dem Moment hab ich gedacht, oje, siehst du, irgendwas stimmt nicht, und jetzt stirbst du tatsächlich.
    Aber ich will nicht sterben!, dachte ich dann und wurde panisch. Warum soll ich jetzt sterben? Maria, bitte, lieb mich doch, was ist denn los mit euch? Bitte, bitte, ich will leben, ich will noch ganz, ganz lange leben, ich hab noch ganz viel zu tun, ich will noch ganz, ganz viel auf der Erde tun. In dem Moment hörte das Kind auf zu schreien. O Gott, dachte ich, die haben mich beim Wort genommen, das Kind ist tot. So ein Mist, jetzt lebe ich und das Kind ist tot.

    Man kennt immer nur das Entweder-oder, nie das Alles-zusammen.
     
    Mein Gerät war wieder leise. Ich habe dann einen Arzt gefragt, da war doch ein Kind, das geschrien hat, was ist mit ihm? Und der Mann hat geantwortet, ja, das hatte eine kleine Operation, es ist aber alles in Ordnung. Das war wahrscheinlich das Kind, das ich schon vor ein paar Tagen gesehen hatte, mit der Mutter, die so glücklich war über den Gedanken, dass ihr Kind hochintelligent ist, dass es nicht behindert ist, sondern einfach mit einem besonderen Gang über die Erde läuft.
    Das Kind und ich, wir wollen beide

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